Der potenzielle Wegfall Chinas darf nicht unterschätzt werden.
Geopolitik und Inflation
Geopolitische Lage
Die Karten der Weltpolitik wurden 2022 kräftig neu gemischt und der Status quo in vielen Bereichen hinterfragt. So disruptiert der seit Monaten wütende Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine die globalen Lieferketten. Die Auswirkungen sind vielfältig: von einer Nahrungsmittelkrise auf dem afrikanischen Kontinent bis zu einer weltweit rekordverdächtigen Inflation. Eindrucksvoll zeigt das die weltweite wirtschaftliche und politische Verbundenheit. Sollte sich die geopolitische Lage verschärfen und weitere Kriege mit internationalem Ausmaß folgen, beispielsweise ein befürchteter Angriff Chinas auf Taiwan, dann wären die Folgen für den Welthandel katastrophal.
Der Schaden durch einen potenziellen Wegfall Chinas als wichtiger Lieferant für elektronische Produkte und Halbfabrikate darf nicht unterschätzt werden. Hier bleibt zu hoffen, dass im Dialog weiter auf Diplomatie gesetzt wird. Jede Entspannung hätte einen positiven Effekt auf alle Bereiche des Onlinehandels.
Rezession, Inflation und Konsumlaune
Für 2023 wird von den meisten Beobachtern mit einer Rezession gerechnet. Wie schlimm diese genau ausfallen und wie lange sie andauern wird, darüber streiten sich Ökonomen. Diese erwarten allerdings auch einen deutlichen Rückgang der Inflation bereits im zweiten Quartal 2023.
Die Entspannung bei den Lieferketten und das Greifen der Leitzinserhöhungen im Euroraum werden sich positiv auswirken. Dies spiegelt sich auch in der Konsumlaune wider, bei der erste zarte positive Tendenzen bereits 2022 zu verzeichnen waren. Im Oktober 2022 schien der vorläufige Tiefpunkt erreicht. Von einem absoluten Tief in den vergangenen zwei Jahren von -42,8 Punkten kletterte der GfK-Index bis November wieder leicht auf -40,2 Punkte. Der Inflationsschock könnte also verdaut sein und die Kauflaune weiter steigen. Entlastungen wie die Gaspreisbremse scheinen eine gewisse Wirkung zu zeigen.
Weitere geplante Maßnahmen wie die Strompreisbremse könnten diesen Trend zudem befördern. Eine steigende Konsumlaune und nachlassende Inflation dürften zu geringerer Preissensitivität beim Endverbraucher führen, die es den Händlern ermöglicht, die gestiegenen Kosten stärker als bisher weiterzugeben.
Wechselkurs und Lieferketten
EUR-USD-Wechselkurs
Der EUR-USD-Wechselkurs entwickelt sich seit Beginn des Jahres zuungunsten des Euro. So begann das Jahr mit einem Kurs von einem Euro zu fast 1,15 US-Dollar, dieser fiel jedoch bis Ende September unter die Ein-Dollar-Marke. Bis zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Zeilen hatte sich der Euro nach einem längeren Aufwärtstrend wieder erholt. Ein starker US-Dollar macht natürlich gerade denjenigen Händlern zu schaffen, die ihre Waren beispielsweise in Asien auf Grundlage des US-Dollar einkaufen, aber ihre hauptsächlichen Abverkäufe in Ländern der Eurozone tätigen.
Auch die Händler, welche bisher durch Hedging abgesichert sind, wird der negative Effekt des Wechselkurses erreichen, wenn ihre Versicherungsverträge auslaufen. Vorausgesetzt, der Trend setzt sich fort und der Euro erholt sich zum US-Dollar weiter in Richtung des historischen Durchschnitts, so wird dies dem deutschen Onlinehandel zugutekommen.
Die Pandemie und die Lieferketten
Durch die in deren Folge verhängten Lockdowns bescherte die Corona-Pandemie dem digitalen Handel einen enormen Wachstumsschub. Während sich weite Teile der Welt mehr oder weniger mit dem Coronavirus arrangiert haben, steht China jedoch vor einem Problem: ihre ideologisch motivierte Null-Covid-Strategie und deren Folgen. Sah es zuletzt nach einer möglichen Entspannung der Null-Covid-Strategie aus, glich Peking Ende November erneut einer Geisterstadt.
Ein klares Indiz, dass die Lieferketten deutlich entspannter sind, ist die Entwicklung des Frachtpreises für einen Standard-TEU-Container auf der Strecke China–Europa. Der Shanghai Containerized Freight Index (SCFI), als wesentlicher Indikator, zeigt einen deutlichen Rückgang der Preisentwicklung und hatte per Anfang Dezember 2022 wieder fast das Vor-Corona-Niveau von ca. 1.000 USD pro Container erreicht. Zu Spitzenzeiten während der Corona-Pandemie war der Preis auf > 10.000 USD pro Container angestiegen.
Diese positive Entwicklung ist genauso auf erhöhte Lieferkapazitäten wie auch auf ein aktuell hohes Inventar bei Onlinehändlern in Deutschland und Europa zurückzuführen. Da gleichzeitig viele Reedereien Überkapazitäten signalisieren, könnte es im Logistiksektor noch zu weiteren Korrekturen kommen.
Wer die aktuelle Lage nur mit den zurückliegenden zwei Jahren vergleicht, muss enttäuscht werden.
Fazit
Ein Licht am Ende des Tunnels?
Für einen Lichtblick am Ende dieser eher eingetrübten Betrachtungen wollen wir noch ein paar positivere Beobachtungen anstellen: Die Märkte reagieren aktuell ungemein sensibel auf gute Nachrichten. So verzeichnete der NASDAQ am 10. November aufgrund eines besser als gedacht ausgefallenen Ausblicks zur Inflation in den USA einen Anstieg um ganze 7 Prozent. Das heißt, selbst kleine Entspannungen können große positive Effekte auf die Stimmung an den Märkten haben. Gleichzeitig scheint die prognostizierte Rezession weniger schlimm auszufallen als zuletzt angenommen. Der ifo-Geschäftsklimaindex stieg sowohl im Oktober als auch November wieder an.
Abschließend sei gesagt, dass der grundsätzliche Trend vom stationären Handel hin zum Onlinegeschäft - beziehungsweise die Annäherung der beiden - sich weiter fortsetzen wird. Wer die aktuelle Lage nur mit den zurückliegenden zwei Ausnahmejahren vergleicht, muss zwangsläufig enttäuscht werden. Dabei wurden viele Konsumentinnen und Konsumenten überhaupt erst durch die Pandemie für den Onlinehandel gewonnen. Und diese neuen Käufergruppen werden dem E-Commerce vermutlich auch weiterhin treu bleiben.
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