Strategie

Ausgabe: 01 / 23 Lesedauer: min

Einkaufstricks für 2023

Auf die richtige Beschaffungsstrategie kommt es an

Steigende Kosten, rückläufige Kundennachfrage - jetzt kommt es bei der Beschaffung noch mehr darauf an, dass die richtige Ware zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Menge auf Lager liegt. Experten teilen ihre Tipps zur optimalen Beschaffungsstrategie.

Quelle: Shutterstock (Creative composition)

Eine Krise jagt die nächste - das gilt im Handel derzeit nicht nur verkaufsseitig, sondern auch für die Einkaufslogistik. Seit Beginn der Coronapandemie standen dabei vor allem die weltweiten Produktions- und Lieferketten im Mittelpunkt. Lockdowns und Produktionsausfälle in Asien, Engstellen bei der Verfügbarkeit von Schiffscontainern oder Störungen der weltweiten Transportrouten sorgten bei vielen Händlern für Warenknappheit.

Im Laufe des zurückliegenden Jahres hat sich diese Situation zu großen Teilen wieder entspannt. Dafür traten durch die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs, der Energiekrise und der hohen Inflation andere Faktoren in den Fokus, die sich ebenfalls nachteilig auf die Beschaffungslogistik auswirkten: Der Einkauf wurde immer teurer, gleichzeitig ging die Konsumentennachfrage markant zurück. Themen wie Beschaffungseffizienz, die Lageroptimierung und die Bereinigung von Überbeständen gewannen damit noch einmal an Relevanz.

Florian Althoff beschäftigt sich mit seiner Unternehmensberatung AHAG und dem Business-Intelligence-Tool DataWow schon seit vielen Jahren mit diesen Themen. Seine Kunden sind vor allem kleinere und mittelgroße Händler. "Viele unserer Kunden konsolidieren jetzt ihr Geschäft. Auch wer bisher ganz auf Wachstum ausgerichtet war, drückt jetzt vermehrt auf die Bremse", erzählt Althoff. "In so einer Situation geht es darum, sich auf Produkte zu fokussieren, die relevant sind und Geld bringen", so der Berater.

Mit der zielgenauen Analyse zur passenden Strategie

Unverzichtbare Grundlage für eine passende Beschaffungs- und Lageroptimierungsstrategie ist für Althoff eine A/B/C-Segmentierung des Shop-Sortiments. Als A-Produkte wird der Teil der meistverkauften Artikel bezeichnet, mit dem ein Shop 80 Prozent seines Umsatzes macht. Die B-Produkte setzen sich aus den Artikeln zusammen, die für die nächsten 15 Prozent des Umsatzes verantwortlich sind. Als C-Produkte werden schließlich diejenigen Artikel bezeichnet, die zusammen nur für die unteren 5 Prozent des Shop-Umsatzes sorgen, bzw. als C*-Produkte Artikel, die sich in den zurückliegenden 12 Monaten gar nicht verkauft haben.

Die A/B/C-Segmentierung sollten Onlineshops nicht nur auf den Umsatz gerechnet vornehmen, sondern auch im Hinblick auf den Deckungsbeitrag. "Oft sorgen die Artikel, die einen guten Umsatz machen, auch für einen guten Deckungsbeitrag. Doch zwischen den beiden Variablen kann es auch immer wieder Unterschiede geben", erklärt Althoff. Eine weitere Möglichkeit der A/B/C-Segmentierung ist zudem die Häufigkeit der im Lager anfallenden Picks.

Auf Basis der genauen A/B/C-Segmentierung empfiehlt Florian Althoff Händlern eine Ausrichtung ihrer Beschaffungs-, Lageroptimierungs- und Abverkaufsstrategie. "In der aktuellen Situation sollten Händler noch stärker darauf achten, dass sie die richtige Ware sourcen und diese zum benötigten Zeitpunkt auf Lager haben", empfiehlt der Berater. Im Lager sollten Logistikwege optimiert werden und Prozesse wie das Picken und Packen der Ware möglichst effizient und kostensparend organisiert werden. Schließlich gilt es, die Ladenhüter zu identifizieren. "Es ist wichtig, Bestände zu bereinigen, die viel Liquidität binden und die sich zu langsam drehen", sagt Althoff. Er empfiehlt seinen Kunden dann eine Abverkaufsstrategie in drei Schritten.

Im ersten Schritt wird der Overstock zum Preispunkt "Deckungsbetrag plus 10 Prozent" angeboten. Wenn der Verkauf weiter nicht anzieht, wird die Ware im zweiten Schritt zum reinen Deckungsbetrag angeboten und wenn nötig im dritten Schritt zum Einkaufspreis. "Man sollte keinesfalls von Anfang an alles zum Beispiel um 20 Prozent reduzieren. Dann sind manche Produkte sofort ausverkauft. Es gilt vielmehr, für jedes Produkt, den passenden Abverkaufspreis zu finden", erklärt Althoff.

Florian Althoff, AHAG
"Es ist wichtig, Bestände zu bereinigen, die viel Liquidität binden und die sich zu langsam drehen."

Große Händler setzen auf KI-basierte Lösungen

Während für mittelständische Händler Tools wie DataWow und die Erstellung von A/B/C-Segmentierungen und Abverkaufsstrategien ein gutes Management der Beschaffungs- und Lagerlogistik ermöglichen, sehen sich große Online- und Omnichannel-Händler bei dem Thema mit deutlich komplexeren Herausforderungen konfrontiert. "Oft liegen die entsprechenden Daten verteilt in verschiedenen Einzelsystemen", erzählt Andreas Nierlich, Retail-Verantwortlicher für den DACH-Raum beim Supply-Chain-Plattformanbieter Blue Yonder. "Der Handel ist sehr datenlastig, da können kleine Veränderungen große Verbesserungspotenziale bringen. Doch damit das möglich wird, ist es nötig, Datensilos aufzulösen."

Zu den Kunden von Blue Yonder zählen Handelsmarken wie Alnatura, Bonprix, DM, Rewe oder Galeria. Sie setzen auf die KI-basierte Plattform des Dienstleisters, um ihre Beschaffungsstrategie und das Lagermanagement zu optimieren.

"Nur die digitale Planung ist agil genug, um alle dafür relevanten Faktoren zu berücksichtigen", erklärt Nierlich. Für Omnichannel-Händler sei es zum Beispiel entscheidend, dass die Ware immer dort sei, wo sie am stärksten gebraucht und verkauft werde - egal ob es sich um den jeweiligen Kanal oder um physische Standorte handele. "Gerade in der aktuellen Situation müssen Händler mit den bestehenden Beständen möglichst effizient umgehen“, erklärt der Software-Entwicklung- und Retail-Experte. Auch für den Abbau von Overstock setzen die Blue-Yonder-Kunden auf KI-basierte Verfahren. "Damit kann man unter anderem vorhersagen, wie groß der Einfluss von Preisnachlässen auf die Nachfrage ist - und somit sowohl den Abverkauf als auch die Margen optimieren", sagt Nierlich.

Andreas Nierlich, Blue Yonder
"Nur die digitale Planung ist agil genug, um alle Faktoren zu berücksichtigen."

Mehr regionale statt weltweite Beschaffung?

Enterprise-Lösungen wie Blue Yonder sind nicht billig. Insofern stellt sich die Frage, inwiefern eine krisenhafte Wirtschaftslage wie im Moment für die Einführung solcher Systeme geeignet ist. "Am besten ist es natürlich, in Digitalisierung zu investieren, bevor am Markt so etwas passiert", räumt Andreas Nierlich ein. "Doch leider ist es oft so, dass erst etwas geschehen muss, damit die Unternehmen etwas tun." Blue Yonder setze darauf, potenziellen Kunden mit konkreten Analysen aufzuzeigen, welche Potenziale in der Optimierung von Beschaffung und Lagerhaltung steckten. Damit ließen sich auf bei beschränkten Budgets positive Investitionsentscheidungen begünstigen.

Jenseits der durch den Einsatz von Software möglichen Optimierungen befürwortet Blue-Yonder-Manager Nierlich auch ein generelles Umdenken beim Sourcing: "Einige Händler stellen auf eine Near- oder Onshore-Strategie um, anstatt wie bisher zu großen Teilen offshore zu sourcen. Auf diese Weise lässt sich die Beschaffung besser planen, können Mengen flexibler kalkuliert werden und somit Überbestände aktiv vermieden werden." DataWow-Geschäftführer Florian Althoff sieht das ähnlich, ist allerdings skeptisch, inwieweit der Handel von seiner bevorzugten Einkaufsdestination Asien abzurücken bereit ist. "In der Krise wollen das alle, aber ist die Krise erst einmal vorbei, hat sich wieder einmal nichts geändert", so der Berater.

Matthias Hell

Matthias Hell ist Experte für E-Commerce-Themen. Der promovierte Politikwissenschaftler beleuchtet für uns seit mehr als zehn Jahren als freier Autor Handels- und Online-Themen, zunächst für Internet World, jetzt für W&V. Zudem ist Matthias für den täglichen W&V Newsletter Commerce Shots zuständig. Neben einigen Fachbüchern hat er zwei Bildbände zur modernen Architektur seiner Heimatstadt München veröffentlicht und widmet sich in seiner Freizeit seiner Leidenschaft für Musik und Literatur. 
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