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Ausgabe: 01 / 23 Lesedauer: min

Über diese E-Commerce-Trends wird man 2023 sprechen - Teil 2

Zugegeben: Nicht jeder E-Commerce-Trend, der in den Medien und in der Öffentlichkeit Anklang findet, ist für Händler deswegen gleich von großer Business-Relevanz. Bei den drei Entwicklungen, die im Folgenden vorgestellt werden, sieht es jedoch anders aus. Sie haben heute schon einen direkten Business-Impact und repräsentieren den Handel von morgen. Im zweiten Teil beleuchten wir: Social Commerce, Live Shopping und Tokengated Commerce.

Quelle: Shutterstock (Creative composition)

Social Commerce

Produkte und Marken zuerst über Social Media entdecken

Von solchen Zahlen sind westliche Länder noch weit entfernt, weil es keine Super-Apps wie WeChat in China gibt. Diese beinhalten neben Chat- auch Payment-Funktionen, was den Handel von Waren deutlich vereinfacht. Trotzdem sind auch hier die Steigerungsraten beachtlich. "Verbraucher tendieren immer stärker zum Kauf innerhalb sozialer Netzwerke", sagt Doreen Kunze, Social Media Managerin bei Futalis, in der Studie Social Media Trends 2023 (Talkwalker, Khoros). "Vor allem die junge Generation entdeckt Produkte und Marken zuerst über Social Media. Kaufentscheidungen werden dort schneller und emotionaler getroffen - oft schon innerhalb weniger Minuten."

Untermauert werden diese Thesen von Prognosen wie der von der Beratungsgesellschaft Deloitte. Diese hat jüngst errechnet, dass die weltweiten Ausgaben für Waren und Dienstleistungen in sozialen Medien wie Instagram oder TikTok im Jahr 2023 erstmals die 1-Billion-Dollar-Grenze reißen werden. Langsam, aber sicher werde der Social-Commerce-Markt den traditionellen E-Commerce-Markt überholen, so Nikola Süssl, Partner bei Deloitte Österreich.

Zahlreiche Händler reagieren auf diesen Trend und bieten ihre Produkte zunehmend über Social Media an. Von der Inspiration des Users über Produktinfos bis hin zum Kauf soll alles reibungslos auf einer einzigen Plattform ablaufen, nur der Check-out-Prozess findet in den meisten Fällen auf der eigenen Website statt. Die Social-Media-Plattformen pushen den Trend und bieten immer neue Features, um Händlern und Marken den Social Commerce zu erleichtern.

Quelle: Deloitte Global analysis / Angaben in Mrd. US-Dollar

Aktuelle Steps der Social-Media-Plattformen

TikTok: Seit Mitte November können User unter dem Namen TikTok Shop direkt in der App Produkte kaufen. Zunächst wird die Social-Commerce-Funktion in den USA zur Verfügung gestellt. Tests liefen bereits in Großbritannien und in Asien. Pläne für Europa soll es auch schon geben.

YouTube: Seitdem bietet auch YouTube die Möglichkeit, eigene Produkte direkt in den Kurzvideos namens Shorts zu verlinken. Zuschauer werden per Klick zum Shop geleitet und können dort einkaufen. Bisher laufen Tests in den USA, Indien, Brasilien, Kanada und Australien.

WhatsApp: Im September 2022 hat WhatsApp in Indien erstmalig eine End-to-End-Shopping-Funktion herausgebracht. Das neue Tool ermöglicht es Kunden, den gesamten Kaufvorgang innerhalb der App abzuschließen. Die neuen Shoppingfunktionen werden zunächst in Brasilien, Kolumbien, Indonesien, Mexiko und Großbritannien live geschaltet.

Instagram: Seit Juli ermöglicht Instagram es kleineren Unternehmen in den USA, den gesamten Kaufprozess inklusive Bezahlvorgang im Chat abzuwickeln: vom ersten Kommunizieren mit den Kunden über das Beantworten von Fragen in Echtzeit - bis hin zur Übermittlung der Zahlungsaufforderungen inklusive Artikelbeschreibung und Preis.

Pinterest: Ebenfalls im Juli präsentierte Pinterest einige Neuigkeiten im Bereich Social Commerce. Die Pinterest-Shopping-API, Produkt-Tagging für Pins, Video im Katalog und das Shoppen-Tab im Unternehmensprofil sollen Händlern neue Möglichkeiten bieten, ihre Konsumenten zu erreichen.

Snapchat: Auf seinem Partner Summit im Frühjahr 2022 hatte Snapchat eine Reihe von Innovationen vorgestellt. Viele davon zahlen auf Social Commerce ein. Im Januar 2022 hatte Snapchat zudem neue Lenses für den Social Commerce präsentiert. Mit den "Catalog-Powered AR Shopping Lenses" können User seitdem Produkte über Augmented Reality anprobieren und erhalten gleichzeitig Informationen zu Preis, Größe oder Farben des Produkts.

Twitter: Im Sommer 2022 holte sich Twitter mit Shopify einen wichtigen strategischen Partner an Bord. Die Twitter-Verkaufskanal-App ist im App-Store von Shopify verfügbar und bietet allen Shopify-Händlern in den USA die Option, ihre Kundschaft via Twitter zum Kauf zu veranlassen. Wann die App auch in Europa eingeführt wird, ist noch nicht bekannt.

Twitch: Hierzulande ebenfalls vom Trend profitieren will Twitch und startete kürzlich seine erste Social-Commerce-Produktion in Europa. Den Auftakt bildete am Black Friday die Live-Shopping-Gameshow "POG Picks".

OnlyFans: Creator können ihre OnlyFans-Site mit einem Onlineshop verknüpfen, um personalisierte Merchandise-Artikel zu verkaufen. Die Creator-Community sei auf der Suche nach weiteren Möglichkeiten gewesen, um "eine andere Seite ihres Geschäfts mit ihren Fans zu teilen", so Geschäftsführerin Ami Gan in der "Financial Times".

Steckbrief Social Commerce:

  • Das ist der Trend: Social Commerce
  • Das steckt dahinter: Vor allem bei jüngeren Zielgruppen findet der digitale Schaufensterbummel zunehmend auf Social Media statt und nicht auf Amazon & Co. Sie lassen sich dort von Marken inspirieren und wollen sofort und unkompliziert den Kauf abschließen.
  • Potenzial: Sehr groß. Experten sprechen von einem Billionen-Markt. In China werden in diesem Jahr bereits 14 Prozent der E-Commerce-Umsätze über Social Media abgewickelt.
  • Relevant für: Händler und Markenartikler. Sie sollten ihre Waren und Dienstleistungen verstärkt über sozialen Kanäle vertreiben. Die einzelnen Plattformen bieten dafür zahlreiche Tools an.

Live Shopping

Revival des guten alten Teleshoppings

Im Grunde handelt es sich bei Live Shopping um das Revival des guten alten Teleshoppings: Über eine Live-Plattform werden Produkte vorgestellt, die man direkt erwerben kann. Der Unterschied zu früher ist der Rückkanal. Die Interessenten können heute während der Show Fragen über Chat an die Verkäufer stellen, die dann unmittelbar beantwortet werden. Live-Shopping ermöglicht also die Interaktion mit der Community. Im Grunde werden damit die Vorteile des E-Commerce (zu Hause, bequem, unkompliziert) um die Vorteile des stationären Handels (Beratung, Tipps, Erklärung) ergänzt.

Wie auch in anderen Bereichen hat einmal mehr China den Live-Shopping-Trend gesetzt. Schätzungen zufolge werden dort im Jahr 2025 bereits knapp die Hälfte aller E-Commerce-Umsätze über Live Shopping erzielt werden - eine kaum vorstellbare Größenordnung. Doch es gibt Beispiele, die die enorme Zugkraft solcher Events belegen. Der chinesische Live-Stream-Star Austin Li Jiaqi, besser bekannt als "Lipstick King", verkaufte während einer zwölfstündigen Live-Show auf Alibabas Taobao-Shopping-Plattform Waren im Wert von 1,7 Milliarden US-Dollar. Nun sind diese Erfolge nicht unmittelbar auf Deutschland übertragbar. Denn die digitale Mediennutzung in China ist höher, die Zielgruppe ist jünger und die Plattformen sind technisch ausgereifter.

Relevanter Vertriebskanal

Doch auch in Deutschland setzt sich Live Shopping durch und wird im kommenden Jahr zu einem relevanten Vertriebskanal. Denn die Vorteile für Händler sind groß. Sie kreieren ein Event, kündigen es über ihre eigenen Kanäle (Social Media, Website) an, und schaffen so für einen definierten Sendezeitraum eine inspirierende Atmosphäre für Konsum, was sich direkt im Warenkorb bemerkbar macht. Sie können ihre Waren über Influencer glaubwürdig anbieten, fachkundig beraten und sich als nahbares Unternehmen zeigen. Zudem intensivieren die Händler den Kontakt zu ihren Kunden und senken auch noch die sonst üblichen Retourenraten. Im Juli führte Splendid Research zusammen mit About You eine Studie durch, die zeigte: 61 Prozent finden das Format interessant, vor allem für Mode, Technik und Haushaltsprodukte.

Bislang ist unklar, welche Rolle Social Media bei diesem Trend einnehmen könnte: Meta legte im Oktober 2022 seine Live-Shopping-Pläne auf Eis. Auch TikTik Shop, eine Funktion, die Live-Shopping-Elemente enthielt, wurde für Europa erst mal gestoppt. Offizieller Grund: mangelndes Interesse der Händler und User. Ein Abschied für immer scheint es aber nicht zu sein: TikTok experimentiert in den USA bereits wieder mit TalkShopLive.

Instagram hat immer noch das Feature Instagram Live Video im Repertoire, das im Grunde jederzeit aktiviert werden könnte. Und Facebook präsentiert auf seinen Business-Seiten nach wie vor sein Live Shopping Feature, Motto: "Verkaufe via Livestreams in Echtzeit Produkte, interagiere mit Zuschauern und gewinne potenzielle Kunden!" Auch Google hilft Händlern, die Tipps für ein erfolgreiches Live Shopping auf YouTube suchen. Am Black Friday startete übrigens Twitch die Live-Shopping-Gameshow "POG Picks". Sieht so aus, als würde Social Media abwarten, sich aber nicht zurückziehen.

Live Shopping kommt bei Nutzern an

Insgesamt haben 61 Prozent der Deutschen Interesse am Live Shopping. Vor allem Bereiche wie Mode, Technik und Haushalt sind gefragt:

Quelle: 2022 Splendid Research GmbH / n = 1003

Zahlreiche Händler sammeln bereits Erfahrungen

Social Media hat das Thema Live Shopping also längst noch nicht abgehakt. Der richtige Boom vollzieht sich allerdings derzeit auf den eigenen Webseiten der Händler. Der Grund: Die Integration der Schnittstellen von Live-Shopping-Plattformen zum Shop ist relativ einfach und kann genau auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten werden. Einmal implementiert, können sie immer wieder genutzt werden. Die Bewerbung der Events ist easy, sie läuft über die eigene Website, die Newsletter und Social Media. Dazu zudem vergleichsweise hohe Conversions winken, ist es keine Überraschung, dass zahlreiche Händler mit Live Shopping bereits positive Erfahrungen gesammelt haben. Zu ihnen zählen:

AboutYou, baby-walz, bonprix, dm, engelhorn, Dove, Douglas, Galeria, IKEA, KaDeWE, Lidl, Mango, Media Markt, NKD, Peek & Cloppenburg, Samoon, Sport Scheck, Takko, Weltbild, Zalando und viele mehr. Meist läuft die Veranstaltung nach ähnlichem Muster ab: Zeitpunkt festlegen, Motto festlegen (z.B. Festtags-Looks zum Wohlfühlen), Influencer und Moderatoren engagieren, Kunden einladen. Anschließend ist vor allem wichtig, dass die angebotenen Produkte in hoher Stückzahl vorhanden sind und sofort verschickt werden können. Auch der größte aller Marktplätze, Amazon, bietet seinen Händlern entsprechend Live-Features an.

Live-Shopping kann also auf zahlreiche Use Cases zugreifen. Gleichzeitig hat sich in den vergangenen Monaten rund um den Trend eine vitale Dienstleistungslandschaft entwickelt, die interessierte Händler ohne viel Aufwand und mit überschaubaren Kosten auf Live-Stream-Niveau hieven kann und ihnen auch bei der Konzeption der Shows bis hin zur Auswahl der Hosts hilft. Man kann also sagen: Die Hausaufgaben sind gemacht, die Bedingungen sind gut. Wir werden deshalb in 2023 deutlich mehr Live-Stream-Shopping-Events erleben als die Jahre zuvor.

Quelle: 2022 Splendid Research GmbH / n = 1003

Steckbrief Live Shopping:

Das ist der Trend: Live Shopping

Das steckt dahinter: Mit Live Events können Onlinehändler nahe an ihre Kunden rücken. Der E-Commerce wird durch den Faktor Beratung ergänzt, was sich unmittelbar in den Warenkörben niederschlägt. Online-Shopping wird zum Gemeinschaftserlebnis, Nähe zu Influencern ist garantiert.

Potenzial: sehr groß. Verglichen mit China stehen wir hier erst am Anfang. Doch zahlreiche Händler verfügen bereits über valide Use Cases und werden ihre Events wiederholen.

Relevant für: Händler und Markenartikler. Für sie eröffnet sich gewissermaßen ein neuer Vertriebskanal, mit dem punktuell hohe Umsätze erzielt werden können. Der technische Aufwand ist vergleichsweise gering.

Tokengated Commerce

Erlebnisse statt Transaktion

Für Marken wird es zunehmend schwieriger, Kunden zu gewinnen und langfristig an sich zu binden. Vor allem ein personalisiertes Shoppingerlebnis steht bei den Verbrauchern hoch im Kurs, zudem gewinnt der Community-Gedanke immer mehr an Bedeutung. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, müssen Unternehmen Erlebnisse schaffen, die über reine Transaktionen hinausgehen.

Im stationären Handel sorgen im besten Fall gut geschulte Mitarbeiter dafür: Sie erkennen, wenn jemand etwa ein Oberteil aus der letzten Kollektion trägt, Stammkunde ist oder eine besondere Beratung benötigt. Anhand dieses Wissens können sie beispielsweise genaue Kaufempfehlungen geben. Digital ist dieser Service viel schwieriger. Hier kann Tokengated Commerce Abhilfe schaffen.

Personalisierte Angebote und exklusive Kollaborationen

"Tokengated Commerce ist eine Art digitaler 'Vibe-Check', der automatisch stattfindet, sobald eine Person mit NFT-Wallet einen Shop öffnet", erklärt Alex Danco, Head of Blockchain bei Shopify, den Trend. "Durch NFTs werden die Wallet-User Teil einer Community, heben sich aber durch ihr individuelles NFT auch als Einzelpersonen hervor." NFTs könnten somit etwas darüber aussagen, welcher Gruppe sich Menschen zugehörig fühlen und gleichzeitig ihre Individualität ausdrücken. Das jeweilige Angebot könne so passgenau auf den Kunden abgestimmt werden, indem sich die Wallet mit dem Shop verbindet und dieser sich dementsprechend verändert. "Neben personalisierten Angeboten kann Tokengated Commerce auch ganz neue Möglichkeiten für exklusive Kollaborationen schaffen. Es ermöglicht es Händlern, Produkte oder Kollektionen exklusiv oder vorab für Fans anzubieten und Communities verschiedener Marken zusammenzubringen", so Danco.

Steckbrief Tokengated Commerce:

  • Das ist der Trend: Tokengated Commerce
  • Das steckt dahinter: Personalisiertes Onlineshopping mit NFTs
  • Potenzial: Um NFTs, Kryptowährung und Blockchain entsteht aktuell eine neue Art des Handels. Der FC Barcelona hat sein erstes NFT beispielsweise für knapp 700.000 US-Dollar verkauft. Und auch die Juwelier-Marke Tiffany präsentierte jüngst eine neue NFT-Kollektion.
  • Relevant für: Händler und Token-Besitzer. Erstere können mehr Nachfrage schaffen, starke Communities aufbauen und leichter Merchant-Kollaborationen initiieren. Letztere bekommen durch die Verbindung ihrer Wallet mit dem Shop Zugang zu exklusiven Produkten und Inhalten und profitieren von einem personalisierten Shopping-Erlebnis.

Helmut van Rinsum

berichtet als Fachjournalist seit vielen Jahren über die Entwicklungen der Medien- und Marketingbranche. Er schreibt regelmäßig für Internet World Business über Themen aus dem digitalen Marketing und publiziert für diverse Blogs. Einmal pro Woche verfasst er für Internet World den Social Media Newsletter, zudem ist er Herausgeber des Newsletters „KI im Marketing“ sowie des dazugehörigen Blogs. Van Rinsum ist Vater von drei Kindern und lebt in München.

Alessa Kästner

ist Absolventin der Burda Journalistenschule, volontierte beim Playboy und schrieb für Titel wie ELLE, Focus sowie Werben und Verkaufen. Ihre Kernthemen als INTERNET WORLD-Redakteurin: E-Commerce, Marketing-Trends, Nachhaltigkeit und Social Media.
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