Trends

Ausgabe: 01 / 23 Lesedauer: min

Über diese E-Commerce-Trends wird man 2023 sprechen - Teil 1

Zugegeben: Nicht jeder E-Commerce-Trend, der in den Medien und in der Öffentlichkeit Anklang findet, ist für Händler deswegen gleich von großer Business-Relevanz. Bei den drei Entwicklungen, die im Folgenden vorgestellt werden, sieht es jedoch anders aus. Sie haben heute schon einen direkten Business-Impact und repräsentieren den Handel von morgen. Im ersten Teil beleuchten wir: Conversational Commerce, Low Code und Unified Commerce.

Quelle: Shutterstock (Creative composition)

Conversational Commerce

Mehr als ein Hype

Conversational Commerce ist derzeit in aller Munde. Der Begriff "Conversational" bedeutet auf Deutsch: dialogbasiert. Die Dialoge müssen dafür nicht zwingend zwischen zwei Menschen stattfinden; Chatbots und künstliche Sprachassistenten wie Alexa oder Siri können mittlerweile ebenso an Chats teilnehmen.

Dialogbasierte Interaktionen zwischen Unternehmen und ihren Kunden werden für den E-Commerce immer wichtiger. Schon jetzt ist klar: Conversational Commerce ist mehr als ein Hype.

Definition und Vorteile für den Handel

Conversational Commerce bietet eine Verknüpfung von Onlineshopping der Kunden und persönlichem Gespräch, beziehungsweise persönlicher Beratung oder Betreuung innerhalb eines Kundengesprächs. Diese Gespräche sind, anders als Werbebanner oder Displaywerbung, nicht einseitig, sondern leben vom Austausch. Kunden können Fragen stellen, Probleme melden oder sonstige Anliegen direkt mit Kundenberatern des Unternehmens besprechen. Der Ansatz des unmittelbaren Zugangs ist daher für die Gestaltung der Customer Journey sehr wichtig.

Der Onlinehandel bietet viele Vorteile, etwa das bequeme Einkaufen, ohne dabei stationäre Läden aufsuchen zu müssen - und das rund um die Uhr. Er kann jedoch vor allem für die Kunden einige Nachteile haben, zum Beispiel wenn sie entlang der Customer Journey keine Hilfestellung bei Problemen bekommen. Hier kommt das Konzept des Conversational Commerce zum Tragen: Die Kunden erhalten in Echtzeit die Informationen, die sie benötigen.

Laut aktueller Studien wünschen sich 91 Prozent der Verbraucher bei Problemen während des Onlineshoppings Hilfe in Echtzeit. Diese kann über Chats und Messenger-Dienste leichter gewährleistet werden als bei anderen Kommunikationskanälen wie E-Mail oder Telefon.

"Tante Emma" kommt ins Internet

Der Messenger-Experte Matthias Mehner erläutert: "Mit Conversational Commerce kommt 'Tante Emma' ins Internet. Kunden genießen den Mix aus fachlicher, persönlicher Beratung, die sie früher im lokalen Geschäft hatten, und den Vorzügen des Onlineshops heute." So wird ein nutzerfreundliches Kundenerlebnis geschaffen - vor allem auf beliebten und viel genutzten Kommunikationskanälen wie WhatsApp. Der Online-Farben-Shop MissPompadour beispielsweise konnte hier gute Ergebnisse erzielen.

Messenger-Dienste wurden als Dialogkanäle mit Chatfunktion entworfen. Sie haben aber weitere Vorteile, denn durch das Hinzufügen von Videos, Fotos oder Sprachnachrichten kann man jeweils speziell produzierte Inhalte transportieren. Matthias Mehner ist sich sicher, Conversational Commerce wird bald zum Standard. Er erklärt: "Onlineshops werden nicht verschwinden - aber in drei Jahren hat jedes E-Commerce auch ein Conversational-Commerce-Angebot."

Steckbrief Conversational Commerce:

  • Das ist der Trend: Conversational Commerce, auch C-Commerce
  • Das steckt dahinter: dialogbasierte Beratung mit Verkauf, hauptsächlich über Messenger-Dienste
  • Relevant für: Händler, die einen engeren Kontakt zu ihren Kunden aufbauen möchten, um eine bessere Customer Journey mit umfassendem Service anzubieten
  • Beispiel aus der Praxis: Der Online-Farbenshop MissPompadour setzt seinen Kundendienst über WhatsApp um. Fragen zu Produkten, individuelle Beratung und andere Anliegen werden über den Messenger-Dienst abgewickelt.

Low Code

Abhilfe bei fehlenden IT-Ressourcen

Die Entwicklung neuer IT-Anwendungen ist für viele Commerce-Unternehmen zum Flaschenhals geworden, die Verteilung der knappen Ressourcen gleicht einer ständigen Mangelverwaltung. Die Time-to-Market neuer Features ist daher oft unerträglich lang. Abhilfe verspricht hier die Softwareentwicklung auf Low-Code-Basis. Schon 2025 werden 70 Prozent der neu entwickelten Anwendungen mithilfe von Low-Code-Programmierung entstehen, prognostiziert der US-Marktanalyst Gartner. Zum Vergleich: 2020 lag der Anteil noch bei weniger als 20 Prozent. Entwickeln lässt sich auf diese Weise nahezu alles – eine mobile Shopping-App, eine spezielle Lösung zur Auswertung der unternehmenseigenen Marketingdaten, Tools für die unternehmensinterne Prozessoptimierung oder auch eine komplette Commerce-Plattform.

Was ist Low Code?

Eine Low-Code-Entwicklungsplattform besteht aus einer grafischen Benutzeroberfläche, über die der Nutzer aus vorgefertigten Bausteinen per Drag-and-drop seine eigene Anwendung zusammenstellt. Der schmal gehaltene Programmcode wird im Hintergrund automatisch geschrieben, spezielle Programmierkenntnisse sind nicht nötig. Der Vorteil: Anwendungen lassen sich kostengünstig, oft in der jeweiligen Fachabteilung selbst, und schnell ohne langwierige Absprachen mit der IT umsetzen.

Das Grundprinzip ist letztlich nicht neu: Jedes Website-Baukastensystem wie Wordpress, Shopsysteme wie Shopify und Content-Management-Systeme wie Bloomreach funktionieren schon seit Langem nach diesem Prinzip. Heute wird aber so manches als Low Code verkauft, schlicht, weil das Schlagwort Aufmerksamkeit sichert. Doch dahinter liegt ein neuer, deutlich gewachsener Umfang der Low-Code-Entwicklung: Denn neben den hinsichtlich ihrer Funktionen geschlossenen Lösungen wie Shop- oder Content-Management-Systemen gibt es mittlerweile Low-Code-Plattformen, über die sich nahezu unbegrenzt alles realisieren lässt.

Abbilden interner Geschäftsprozesse

Insbesondere zum Abbilden interner, oft spezieller Geschäftsprozesse ist Low Code geeignet – egal, ob im Controlling oder der Geschäftsanalyse, in der Sortiments- oder Preisgestaltung oder im Marketing. Damit sind Analysen, Optimierungen und Automatisierungen möglich, die für eine Lösung von der Stange zu speziell und für die Eigenentwicklung zu kleinteilig und zu teuer waren.

Zudem ist der Code in der Regel offen, sodass der Commerce-Betreiber ihn nach eigenen Wünschen weiter verändern und ergänzen kann. So lassen sich auch Schnittstellen über Low-Code-Plattformen entwickeln, über die fertige Drittlösungen an die selbst entwickelte Anwendung angebunden werden können. Damit spielen sie IT-Architekturen in die Hand, die einem Composable-Commerce-Ansatz folgen.

Low-Code-Entwicklung macht eine schlagkräftige IT-Abteilung aber nicht überflüssig. Vielmehr entlastet sie die hochqualifizierten Fachkräfte von einfachen, aber zeitraubenden Aufgaben, sodass diese mehr Zeit für große Projekte haben. Und: Je nach Komplexität der gewünschten Projekte brauchen auch die Low-Code-Entwickler, sogenannte Citizen Developer, ein Grundverständnis für den strukturellen Aufbau von Anwendungen und eine gewisse Ausbildungs- oder Einarbeitungszeit.

Für welche Anwendungen Low Code eingesetzt wird

Die Einsatzbereiche von Low-Code-Entwicklung sind breit gefächert. Im E-Commerce ist noch deutlich Luft nach oben.

Quelle: Techconsult/SmapOne: "Low-Code-/No-Code-Development - Enabler der digitalen Transformation"

Steckbrief Low Code:

  • Das ist der Trend: Low Code
  • Potenzial: 70 Prozent der Softwareentwicklungen werden 2025 über Low Code laufen
  • Praxisanwendung: Lösungen wie Shopify, Salesforce oder Firstspirit nutzen bereits den Low-Code-Ansatz // Puma hat eine Low-Code-Business-App entwickelt, die Produkt-Manager, Designer und Entscheider angepasst an ihre Rechte Schritt für Schritt durch den Herstellungsprozess von begleitenden Produktbestandteilen wie Schuhkartons und Etiketten führtn
  • Vorteil: Universell einsetzbar zur Optimierung und Automatisierung im B2C-, B2B- oder D2C-Bereich für alle Unternehmensgrößen

Unified Commerce

Das Update für den Omnichannel

Beim Omnichannel steht der Kunde im Zentrum jeglicher Strategien. Dieser erwartet ein geräte- und kanalübergreifendes Nutzererlebnis ohne Friktion, neuen Login oder Check-out-Probleme beim Wechsel vom Onlineshop in die App. Nahtlos, flexibel, smart und auf das Bedürfnis der Konsumenten zugeschnitten: Diesen Ansprüchen muss der B2C- und auch B2B-Händler in einer Omnichannel-Welt gerecht werden.

Richtige, bis zum Ende durchdachte Omnichannel-Konzepte waren bislang aber eher wenig verbreitet. Die Vision, alle Kundenkontaktpunkte eng zu verknüpfen und so kanalübergreifend ein einheitliches Erlebnis zu schaffen, scheiterte häufig daran, dass der Integration von Backend-Systemen nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Heißt: Während für Nutzer auf ihrem Smartphone, Tablet oder Laptop alles perfekt aufeinander abgestimmt wirkte, waren die Systeme im Backend nicht vereinheitlicht. An Daten mangelte es nicht, sie waren jedoch nicht mit dem benötigten Kontext im Backend verknüpft.

"So kann es dazu kommen, dass die Informationen, wann ein Produkt verfügbar ist oder wann eine Bestellung ausgeliefert wird, nicht auf allen Kanälen einsehbar ist. Es entstehen Datensilos und dezentrale Punkte, die Prozesse verlangsamen, den Informationsaustausch behindern und am Ende die User Experience und den Umsatz beeinträchtigen können", erklärt Birk Angermann, Head of Global Solutions Engineering bei Shopify.

Unified Commerce

Die Lösung soll "Unified Commerce" bieten. Nicht nur Shopify treibt das Thema, Aufmerksamkeit bekommt es derzeit durch ShopTech-Anbieter jeder Art, darunter Spryker, Adesso, Computop oder Unzer. Shopify definiert Unified Commerce als "Upgrade für den Omnichannel", bei dem Front- und Backend über die Grenzen verschiedener Commerce-Konzepte hinweg verschmelzen.

Für Unzer impliziert der Begriff, dass alle Online- und Offlinekontaktpunkte, also alle Daten des Kunden (Warenbewegungen, Zahlungsflüsse etc.), auf einer Plattform zusammengeführt werden. Die Plattform fungiert als "Data Lake", innerhalb dessen jedes System und jede Applikation zu jeder Zeit Zugriff auf den gesamten Datensatz hat. Händler kennen ihren Kunden, finden ihn im CRM und können ihm eine nahtlose Unfied-Commerce-Erfahrung bieten.

Ziel ist es, das Kundenerlebnis im gesamten E-Commerce-Verkaufszyklus automatisch zu optimieren, beispielsweise indem konkretere Angaben über die Verfügbarkeit des Produkts gegeben werden können, weil Lagerbestände immer aktuell einsehbar sind. So sollen etwa die Automatisierung von Prozessen im Backend, die Einbindung eines ERP-Systems oder ein optimierter Check-out-Prozess im Frontend beim Händler die Kosten minimieren und die Produktivität im E-Commerce-Team steigern. Die Händler können schneller auf Kundenwünsche eingehen und auf Nachfragen oder ein sich veränderndes Konsumverhalten agiler reagieren.

Steckbrief Unified Commerce:

  • Das ist der Trend: Unified Commerce
  • Das steckt dahinter: eine einheitliche Handelsplattform, die die Inventar, Bestellungen und Daten vereint. Über sie können Retailer in Echtzeit verfolgen, was in ihrem gesamten Unternehmen passiert, und so fundierte (datenbasierte) Geschäftsentscheidungen treffen, die die Produktivität steigern und Kosten sparen sollen.
  • Relevant für: vornehmlich noch für große Ketten, aber ShopTech-Dienstleister sind derzeit bemüht, Unified-Lösungen auch für kleinere und mittelständische Händler anzubieten.

Aylin Bonn

ist seit Februar 2022 Volontärin bei INTERNET WORLD. Die studierte Kulturanthropologin interessiert sich besonders für die Themen Nachhaltigkeit und neue Kommunikationstechnologien.

Christiane Fröhlich

Als freie Autorin beobachtet Christiane Fröhlich, welche Trends, Hypes und Flops die Commerce-Branche alljährlich produziert. Außerdem entstehen an ihrem Schreibtisch Artikel zu den technischen Aspekten von Web-Präsenzen: Shopsoftware und IT-Architektur, alle nötigen Lösungen rund um den Webshop, Usability oder Logistik sind die Themen. Dem E-Commerce und der Internetwirtschaft ist die Diplom-Journalistin seit 1997 verfallen; seither schreibt sie darüber, wie sich im Internet (mehr) Geld verdienen lässt.

Susanne Gillner

ist Chefredakteurin der INTERNET WORLD. Sie begleitet die Branche und die Marke seit über zehn Jahren. Die Fachjournalistin und Moderatorin schreibt, spricht und podcastet über B2B- und B2C-Themen aus der Digitalbranche – darunter (E-)Commerce, Online Marketing, Social Media, Leadership, New Work und mehr.
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