Analyse
2023: Marketing-
Budgets auf dem Prüfstand
In den kommenden Monaten stehen die Marketingbudgets vieler Onlinehändler auf dem Prüfstand. Denn der steigende Kostendruck führt dazu, dass Werbemaßnahmen superflexibel geplant werden und sehr schnell zu Conversion führen müssen. Für Brandingmaßnahmen bleibt nur noch wenig Spielraum. Die Gattungen Retail Media und Social Media werden von dieser Entwicklung profitieren, Print verliert für den Handel weiter an Relevanz.
Vor Kurzem noch hat der Onlinehandel von der Coronakrise profitiert. Nun treffen die steigenden Kosten auch den Nerv des E-Commerce. Die Agentur Pilot erhebt in einer Umfrage kontinuierlich, welche Themen die Menschen aktuell beschäftigen und wie sie sich fühlen. Auf einen Begriff reduziert, lautet die Antwort: unsicher. Dies prägt natürlich die Kauflaune. "Für den E-Commerce ist die Erkenntnis zentral, dass der Trend zu Onlinebestellungen weniger stark wächst, als die Branche es erwartet hat", sagt Benjamin Bunte, Geschäftsführer Pilot Hamburg. "Das durch Inflation und massiv gestiegene Heizkosten geschmälerte Budget wird zulasten von Impulskäufen beim Onlineshopping gehen", vermutet auch Andrea Malgara, Managing Partner Mediaplus.
Viele Onlinehändler werden Etats kürzen
Was bedeutet das für die Werbebudgets? Werden die Onlinehändler ihre Etats kürzen? Die aktuelle Unsicherheit lässt keine allgemeingültige Aussage zu. Händler wie Sportspar.de, die vom Verkauf preisreduzierter Ware leben, wollen in die Offensive gehen und kündigen eine Steigerung ihres Etats an. "Mehr Werbung in Krisenzeiten: Diese antizyklische Strategie soll uns im Werbejahr 2023 gesund halten und perspektivisch als Gewinner aus der Krise führen", sagt Gründer und Geschäftsführer Jevgenij Borisenko.
Diese kämpferische Ansage wird sich aber nicht jeder leisten wollen, vielerorts ist stattdessen Zurückhaltung angesagt. "Vor dem Hintergrund der sinkenden Umsatzerwartungen im Onlinehandel rechnen wir eher mit verringerten Werbebudgets", sagt Sai-Man Tsui, Managing Director JOM Group. Das sehen zwar die Markenartikler im OWM sowie der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW etwas anders - sie gehen von stabilen Budgets oder einer Erholung im zweiten Halbjahr aus - grundsätzlich aber gilt: Stark steigende Budgets wird es 2023 nur in wenigen Ausnahmefällen geben.
"Mehr Werbung in Krisenzeiten: Diese antizyklische Strategie soll uns im Werbejahr 2023 gesund halten."
Digitale Kanäle profitieren, Print verliert
Die Unsicherheit erfordert von den Onlinehändlern eine hohe Agilität. Es gilt, sofort auf einsetzende Entwicklungen mit den entsprechenden Werbemaßnahmen reagieren zu können. "Die flexible Aus- und Bespielung von Sortimenten an unterschiedliche Zielgruppen wird noch wichtiger", betont Alexander Rohwer, Vice President Brand & Advertising bei Otto, "deshalb setzen wir in unserem Marketingmix 2023 verstärkt auf digitale Kanäle."
Die Krise wird daher zu einer Stärkung der Online-Medien führen, da Offline einfach zu lange Reaktionszeiten hat. Im E-Commerce-Bereich werden die Kanäle profitieren, bei denen der Abstand zwischen Werbekontakt und potenziellem Kaufakt möglichst klein und der Weg kurz ist, meint Andrea Malgara von Mediaplus. Womit Print weitgehend ausscheidet. Malgara: "Die Printmedien werden 2023 keine wahrnehmbare Rolle mehr für dieses Segment spielen."
"Profitieren werden digitale Kanäle, die neue Ideen erlauben."
Volle Kraft auf Performance
Der steigende Kostendruck in den Unternehmen führt auch dazu, dass Werbebudgets verstärkt auf den Prüfstand kommen. Zurückliegende Krisen haben gezeigt, dass Budgets weg von Branding- hin zu Abverkaufswerbung geshiftet werden. Dies dürfte auch die kommenden Monate prägen. "Wir rechnen damit, dass insgesamt mehr Budget in Richtung der technisch messbaren Online-Performance-Kanäle fließen wird, die nach ROAS optimiert werden können", sagt Sai-Man Tsui.
Diese Einschätzung deckt sich mit einer (nicht repräsentativen) Befragung, die INTERNET WORLD bei Onlinehändlern durchgeführt hat. Gut messbare und attribuierbare Kanäle wie SEA auf Google und Amazon, aber auch Paid Social und Affiliate-Marketing sind danach zunehmend gefragt. "Budgets fließen prioritär in die performanten Kanäle", sagt auch Borisenko. Im Gegensatz dazu werden Budgets bei schwer zu messenden Werbeplätzen oder auch "Spielgeld" für Experimente gekürzt oder auf Performance umgeshiftet, so Benjamin Bunte.
Quelle: BVDW
Retail Media profitiert
Als großer Gewinner dieser Entwicklung gilt Retail Media. Zahlreiche Umfragen, wie beispielsweise des FOMA, gehen davon aus, dass die Ausgaben in diese noch relativ junge Mediengattung steigen werden. 27 Prozent der Befragten wollen danach ihre Ausgaben in diesem Bereich gegenüber dem Vorjahr steigern. Bei der Umfrage der OWM gaben sogar 57 Prozent an, in diesem Bereich mehr investieren zu wollen.
Das liegt zum einen an dem wachsenden Angebot an Retail Medien, zum anderen an der unmittelbaren Nähe von Werbekontakt und Kaufangebot. Search, Social oder Influencer-Marketing würden demnächst an ihre Wachstumsgrenzen stoßen, sagt Bunte. Retail Media stehe erst noch am Anfang seiner Entwicklung. Hier verzeichne seine Agentur ein stark steigendes Kundeninteresse.
Wie immer gilt: Krise ist auch Chance
Knappe Kassen könnten also die Nachfrage nach bestimmten Werbeformen steigern. Rabatte und Coupons dürften deshalb 2023 eine größere Rolle spielen als bislang. Grundsätzlich könnten sich aber auch für kleinere Händler Chancen ergeben, ganz einfach, weil die großen schwächeln, meint Maximilian Balbach, Co-CEO von Crossvertise. Immerhin ist das Wachstum zahlreicher Big Player 2022 hinter den Erwartungen geblieben, was zu teils drastischen Sparmaßnahmen führte. "Aller Voraussicht nach werden die Konzerne daher ihre Budgets zurückhalten, wenn sich die wirtschaftliche Lage nicht deutlich verbessert", so Balbach. "Eine Entwicklung, die sich zugunsten kleinerer Händler auswirken kann. Denn diese können dann mit kleineren Budgets einen höheren Werbedruck erzeugen als zuvor."