Interview

Ausgabe: 01 / 23 Lesedauer: min

Deltatecc-CEO Andreas Müller: "Die Kosten gehen an allen Stellen hoch"

Wie geht man als mittelständischer Händler mit den gestiegenen Logistikgebühren um? Wie mit der Kaufzurückhaltung der Kunden und Überbeständen im Lager? Andreas Müller, Geschäftsführer des Marktplatzspezialisten Deltatecc, berichtet über seine Erfahrungen. Als Gesellschafter bei der Küchen-, Wohn- und Haushaltsmarke Echtwerk hat er zudem Einblick in andere Segmente.

Andreas Müller
Geschäftsführer / Deltatecc
Deltatecc

Wie erlebt ihr die aktuelle Krise im E-Commerce? Deltatecc ist als Elektronikversender ja stark auf Marktplätzen präsent. Ist die Nachfrage wirklich flächendeckend so stark eingebrochen?

Vor allem im ersten Halbjahr unseres seit 1. April laufenden Geschäftsjahres waren die Rückgänge wirklich massiv. Nach den starken Corona-Jahren hatten wir bereits mit einem Minus von 10 bis 20 Prozent gerechnet. Doch in einigen Monaten lagen die Rückgänge sogar bei 40 Prozent und im Halbjahresmittel bei 30 Prozent. Das sehen wir auch bei unseren Home & Living-Kollegen ähnlich. Seit Oktober hat es sich wieder etwas stabilisiert und wir liegen auf Vorjahresniveau oder etwas darunter. Aber schon um den Inflationseffekt auszugleichen, bräuchten wir eigentlich ein Wachstum von acht Prozent.

Die Umsätze gehen also nach unten. Wie sieht es auf der anderen Seite mit den Kosten aus?

 Die Kosten gehen an allen Stellen hoch: beim Personal, beim Betrieb der Server, bei Verbrauchsmaterialien wie Papier und Pappe und vor allem auch im Versandbereich. Unsere Logistikpartner DHL und DPD haben bereits beide die Gebühren deutlich erhöht.

Welche Möglichkeiten habt ihr als mittelständischer Händler, auf die Höhe der Gebührenanhebungen einzuwirken?

 Für einen primär auf Marktplätze ausgerichteten Händler wie uns gibt es da recht wenig Stellschrauben. Ein Vorteil ist für uns, dass wir seit Ende 2020 unser neues Logistikcenter in Betrieb haben. Damit können wir zum Beispiel selbst die Versandcontainer beladen und bekommen damit bis zu 40 Prozent mehr in einen Lkw. Auch indem wir penibel auf die Leitcodierung und Adressvalidierung achten, gelingt es uns, Zusatzkosten bei den Carriern zu vermeiden. Und schließlich legen wir großen Wert auf die Optimierung der Verpackungen. Je weniger Volumen wir für unsere Pakete benötigen, umso mehr können wir an Kosten sparen.

Wie sieht es mit Einsparungen in Richtung Endkunde aus? Sind für euch alternative Versandmethoden denkbar, wie zum Beispiel die langsamere "Schneckenpost“,die Galaxus.de im Sommer eingeführt hat?

Über so etwas haben wir schon nachgedacht. Man könnte zum Beispiel einen Economy-Versand einführen, bei dem Pakete standardmäßig in Paketshops geliefert werden. Die Zustellung an die Haustür wäre dann ein Premiumservice, der einen oder zwei Euro mehr kostet.

Du sprichst dabei im Konjunktiv. Das klingt für mich ähnlich wie die meisten Äußerungen zum beim Thema kostenfreier Hin- und Rückversand: Viele Händler sagen, dass das eigentlich ein ökonomischer und ökologischer Wahnsinn ist. Doch keiner ändert etwas. Woran liegt das?

Das würde nur funktionieren, wenn die Großen wie Amazon und Zalando als "First Mover" agieren. Als Mittelständler kannst du nur verlieren, wenn du als Erster vom Gratisprinzip bei Versand und Retouren abrückst. Die Kunden haben sich zu sehr daran gewöhnt, dass das zum Service gehört.

Ich denke, bei den Retouren könnte es eine Chance geben, die Kunden an den Kosten zu beteiligen, wenn man den Nachhaltigkeitsgedanken spielt. Denkbar wäre es zum Beispiel, im Checkout einen Rabatt von ein, zwei Euro anzubieten, wenn Kunden dafür auf kostenlose Retouren verzichten. Aber leider ist momentan die Klimadiskussion durch den Krieg in der Ukraine und seine Folgen weitgehend abgewürgt. Da muss man abwarten, bis die Zeit günstiger ist und die Menschen wieder bereit sind, darüber zu diskutieren.

Das 2020 fertig gestellte neue Lager eröffnet Deltatecc bei der Zusammenarbeit mit den Logistikern wertvolle Manövrierräume.
Quelle: Deltatecc

In der aktuellen Krisensituation steht nicht nur die Logistik in Richtung Endkunde unter Druck, sondern auch die Beschaffung. Wie geht Ihr damit um?

Beschaffungsseitig hat sich die Logistik inzwischen wieder weitgehend entspannt. Die Container-Preise sind gegenüber den letzten Jahren deutlich gesunken; hier haben sich einige Dienstleister mit der Bereitstellung von Kapazitäten wohl deutlich verkalkuliert. Und was die Produktion betrifft, gibt es in China zwar immer wieder Lockdowns, doch sobald diese vorbei sind, wird dort wieder auf Hochdruck produziert. Viele Händler, die nach den Lieferengpässen der letzten Jahre hohe Order aufgegeben haben, sind jetzt stattdessen mit übervollen Lagern konfrontiert.

Wie geht ihr mit Überbeständen um? Was macht ihr mit hohen Lagermengen in einer Zeit, in der die Konsumentennachfrage dramatisch einbricht?

Man muss in so einer Situation die Nerven bewahren. Ich sehe Händler, die jetzt schon Ware zu Aktionspreisen raushauen. Doch das Problem ist: Sind die Lager erst einmal leer, wird alles, was jetzt nachproduziert wird, nur noch zu deutlich höheren Beschaffungspreisen zu haben sein.

Durch meine Beteiligung an Echtwerk bekommen wir mit, dass einige Händler keine Produkte mehr annehmen können, weil deren Lager voll sind. Wenn man denen anbieten kann, dass man die Produkte im Dropshipment-Modell direkt an die Endkunden liefert, ist man in so einer Situation der Held.

Viele Marktplatzhändler nutzen Fulfillment-Lösungen der Plattformbetreiber und haben Ware in deren Logistikcentern eingelagert. Was bedeutet das in der aktuellen Situation?

Auch wir hatten Ware bei Logistikern eingelagert, doch die haben wir inzwischen in unser eigenes Logistikcenter zurückgeordert. Das hat gut funktioniert und spart Kosten. Aber ich kenne Händler, die komplett von Logistikdienstleistern abhängig sind. Wenn man seine Logistik gar nicht selbst in der Hand hat, dann befindet man sich in einer Situation wie jetzt auf sehr schwierigem Terrain.

Der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise haben in der Branche alle Prognosen durcheinandergeworfen. Wie plant Ihr für 2023?

Man muss erst auf einmal auf Sicht fahren. Selbst wenn sich die politische und wirtschaftliche Situation zum Besseren wendet, wird die Konjunktur erst langsam wieder anziehen. Ich gehe davon aus, dass wir das Niveau von 20/21 erst 2024/25 wieder erreichen werden.

Wir selbst haben für 2023 einige gute Projekte in der Pipeline und planen darauf basierend mit einem Plus von sieben Prozent. Dafür werden wir aber viel arbeiten müssen. Ich gehe davon aus, dass wir für unser Jahresziel einen Aufwand investieren müssen, der in den letzten Jahren sicher für 30 Prozent Wachstum gereicht hätte.

Matthias Hell

Matthias Hell ist Experte für E-Commerce-Themen. Der promovierte Politikwissenschaftler beleuchtet für uns seit mehr als zehn Jahren als freier Autor Handels- und Online-Themen, zunächst für Internet World, jetzt für W&V. Zudem ist Matthias für den täglichen W&V Newsletter Commerce Shots zuständig. Neben einigen Fachbüchern hat er zwei Bildbände zur modernen Architektur seiner Heimatstadt München veröffentlicht und widmet sich in seiner Freizeit seiner Leidenschaft für Musik und Literatur. 
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