Analyse
Sehen, klicken, kaufen – Erfolgsfaktoren für Social Commerce
Social Commerce revolutioniert den Onlinehandel. Denn der neue Kanal vereinfacht die Customer Journey radikal. Das Potenzial ist gerade für Branchen wie Beauty oder Mode riesig – vorausgesetzt, sie gehen den Vertrieb über soziale Medien nicht naiv, sondern strategisch an.
Es ist kompliziert mit der Customer Journey. Was in der Theorie logisch klingt, ist in der Praxis oft kaum nachzuvollziehen. Wo befindet sich mein Kunde gerade? Was braucht er? Wo treffe ich ihn als Nächstes an? Unzählige Kanäle und Touchpoints – unentschlossene Kunden: Das macht es schwierig, den Überblick zu behalten.
Doch nun scheint es einen Ausweg zu geben: Mit Social Commerce steht eine Lösung in den Startlöchern, die die Customer Journey in nie dagewesener Form vereinfacht.
Die Idee ist simpel: Marken sollen auf den sozialen Plattformen wie Instagram, Tiktok oder Pinterest nicht nur werben, sondern auch verkaufen. Die Kombination aus präzisem Targeting und Marktplatz ist eine Revolution. Es entsteht ein geschlossenes und vergleichsweise einfach zu bedienendes Ökosystem, in dem Unternehmen Nutzer mit personalisierten Anzeigen ansprechen und gleichzeitig konvertieren können. Sehen, klicken, kaufen – alles innerhalb von Sekunden. Der gesamte Marketing-Funnel abgebildet auf einer Plattform.
Social Commerce verspricht viel und elektrisiert gerade die Marketingbranche. Die Unternehmensberatung Accenture prognostiziert eine rosige Zukunft: Die Summe aller weltweit über soziale Medien erwirtschafteten Umsätze werde bis 2025 auf 1,2 Billionen Dollar anwachsen. Damit vervielfache sich das Volumen gegenüber 2021 um den Faktor 2,5. Außerdem: In drei Jahren entfallen laut der Studie 16,7 Prozent aller E-Commerce-Ausgaben auf Social Commerce – aktuell sind es weltweit rund zehn Prozent.
Entwicklung des Social-Commerce-Anteils am gesamten E-Commerce-Umsatz
(weltweit)Quelle: „Why Shopping’s Set for a Social Revolution“, Accenture, 2021
Social Commerce ist ein globaler Trend. In Märkten wie China und Indien gehört der Vertriebskanal inzwischen zum Standard. Aber auch in westlichen Ländern breitet er sich aus, am schnellsten in den USA. Die DACH-Region befindet sich derzeit zwölf bis achtzehn Monate hinter der Entwicklung des US-Markts, schätzen Experten. Doch dass sich Social Commerce auch hierzulande etablieren wird, gilt als sicher. Je nach Studie haben zwischen fünf und zwanzig Prozent der Bundesbürger bereits über die sozialen Medien geshoppt.
Auch die deutschen Händler sind bereit: 64 Prozent stufen das Thema Social Commerce mit Blick auf die nächsten drei Jahre mindestens als wichtig ein. Mode, Unterhaltungselektronik und Heimtextilien – diese Branchen werden ihre Produkte laut Accenture am besten über die sozialen Medien verkaufen können. Gute Voraussetzungen habe auch der Bereich Kosmetik und Körperpflege.
Social Commerce aus Händler-Sicht
Quelle: „State of Retail 2021“, Bazaarvoice, 2021
Der Handelsverband Deutschland (HDE) sieht Social Commerce grundsätzlich als Chance: „Der Kanal ist eine tolle Möglichkeit, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, kostengünstig, schnell und einfach online zu verkaufen“, sagt Dara Kossok-Spieß, Leiterin Digitalisierung und Netzpolitik beim HDE. Sie warnt aber gleichzeitig davor, Vertriebsstrategien auf eine Plattform allein auszurichten. So könnten Abhängigkeitsverhältnisse zuungunsten der Händler entstehen.
Dieses Problem kennen Händler bereits von Amazons Marktplatz. Dort lernten viele schmerzhaft: Sind sie einmal abhängig, trifft es sie hart, wenn es zu Schwierigkeiten auf der Plattform kommt. Aus diesem Grund tun Händler gut daran, sich trotz aller berechtigten Begeisterung für Social Commerce auch kritisch mit dem neuen Vertriebsweg auseinanderzusetzen.
Nutzung von Social Commerce
Quelle: „Why Shopping’s Set for a Social Revolution“, Accenture, 2021 / “Social Shopping“, Yougov, 2021
Diese fünf Aspekte müssen Marketing-Entscheider besonders im Blick haben:
Influencer
„Social Commerce ohne Influencer zu betreiben, wird nicht funktionieren“, sagt David Holtmann, Managing Director bei Accenture für den Bereich Konsumgüter und Services. Influencer sind das Bindeglied zwischen Marken und Konsumenten. Sie schaffen Emotionen, Identifikation und Nähe. Ohne sie sind Instagram, Tiktok und Youtube nur große Marktplätze. Aber ihre immense Bedeutung macht sie begehrt. Holtmann beobachtet bereits einen zunehmenden Konkurrenzkampf zwischen Unternehmen um Markengesichter. Es wird schwieriger und wohl auch teurer für Marken, den richtigen Influencer zu finden.
Hinzu kommt: Der beste Influencer hilft wenig, wenn der Content schlecht ist: „Es reicht nicht mehr, das Produkt einfach in die Kamera zu halten. Stattdessen muss eine kohärente und glaubwürdige Story sowie eine durchdachte Strategie hinter der Kooperation stecken“, sagt Holtmann.
Kundenbewertungen
Noch mehr als Influencern vertrauen Online-Shopper den Bewertungen anderer Kunden. Das geht aus einer Befragung des Digitalverbands Bitkom hervor. Demnach sind Kundenbewertungen die meistgenutzte Informationsquelle – noch vor Preisvergleichsseiten, Testberichten oder Empfehlungen von Familien und Freunden. Marken, die über soziale Medien verkaufen wollen, sind somit darauf angewiesen, dass Kunden ihre Produkte auf den Plattformen positiv bewerten. Aber das macht sie angreifbar. Das Problem der Fake-Bewertungen hat selbst E-Commerce-Marktführer Amazon noch nicht vollständig in den Griff bekommen.
Bisher gibt es wenig Erfahrungswerte, wie gut die Plattformen betrügerische Rezensionen erkennen und löschen können. Nimmt man jedoch den oft inkonsequenten Umgang der Digitalkonzerne mit Hassrede und Falschnachrichten als Maßstab, können Händler nicht allzu viel Unterstützung erwarten. Marken werden Fake-Bewertungen wohl selbst entfernen müssen. Gelingt das nicht, bleibt ihnen nur das letzte Mittel: juristisch gegen die Plattform vorzugehen. Rechtsanwalt Christian Solmecke sagt: „Reagiert die Plattform nicht, kann man sie abmahnen. Bei illegalem Verhalten wie einer Fake-Bewertung besteht ein Anspruch gegen das Social-Media-Unternehmen.“
Vertrauen
Laut der Accenture-Studie ist fehlendes Vertrauen der Nutzer gegenüber der Plattform das größte Hindernis für den neuen Absatzkanal. So seien die Hälfte der befragten Social-Media-Nutzer besorgt, dass Käufe nicht ausreichend geschützt sind oder Geld bei Bedarf rückerstattet wird. „Einer der Hauptgründe für die bisherige Zurückhaltung im Bereich Social Commerce ist das mangelnde Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Anbieter“, sagt Holtmann.
„Aktive Social-Commerce-Nutzer weisen auf unzureichende Richtlinien für Rücksendungen, Erstattungen oder Umtausch hin und sehen hier noch Verbesserungsbedarf.“ Mangelndes Vertrauen sei ein Problem, das nur langsam überwunden werden könne. Umgekehrt gilt aber: Anbieter, die sich auf die Bedenken der Verbraucher konzentrieren, können sich dadurch positiv von der Konkurrenz abgrenzen.
1-Klick-Kauf
Social Commerce lebt von Impulskäufen. Deshalb sollen Nutzer, die ein Produkt entdecken, möglichst wenige Schritte bis zum Kauf ausführen müssen – im besten Fall gar keine. In den USA zum Beispiel ist das bereits Realität: Dort können Facebook-Nutzer den Bezahlvorgang direkt auf der Plattform abschließen. Hierzulande fehlt dieser schnelle Checkout-Prozess auf allen Plattformen noch. Nutzer werden in Deutschland auf den Onlineshop des Händlers geleitet, um dort die Bestellung abzuschließen.
Die Plattformen arbeiten aktuell mit Hochdruck daran, den Checkout auch in der DACH-Region einzuführen. Tests in anderen Ländern laufen bereits: Meta probiert das Bezahlen auf seinen Plattformen nicht nur in den USA, sondern auch im Vereinigten Königreich aus. Tiktok hat die Funktion bereits in Indonesien und Großbritannien eingeführt. Und auch Pinterest hat Ende 2021 angekündigt, den Checkout zeitnah testen zu wollen.
Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Checkout nach Deutschland kommt. Einen verbindlichen Zeitplan wollten Meta und Tiktok auf W&V-Anfrage allerdings nicht nennen. Mit dem Checkout wäre dann auch hierzulande der sogenannte 1-Klick-Kauf möglich. Vorausgesetzt der Nutzer hat die entsprechenden Zahlungsdaten auf der Plattform hinterlegt. Amazon bietet diese Funktion bereits seit Jahren an.
Doch Vorsicht: 2019 entschied das Oberlandesgericht München, dass Amazons Checkout-Prozess rechtswidrig war. Begründung: Es fehlten Informationen zu den wesentlichen Eigenschaften von Waren oder Dienstleistungen. „Wenn beim 1-Klick-Kauf diese Informationen fehlen, könnte das Verfahren im Einzelfall rechtswidrig sein und abgemahnt werden“, warnt Solmecke.
Die relevantesten Social-Commerce-Kanäle
Quelle: „Social Commerce“, ECC Köln, 2021
Kundendaten
Seitdem klar ist, dass bald auch der Browser Chrome Drittanbieter-Cookies blockieren wird, versuchen viele Unternehmen, eigene Kundendatenbanken aufzubauen. Aus gutem Grund: Unternehmen, die keine First-Party-Daten besitzen, tappen im Dunkeln. Sie werden es in der Post-Cookie-Ära schwer haben, ihre Kunden kennenzulernen und personalisiert anzusprechen.
Beim Social Commerce ist es nicht anders als auf dem Amazon Marketplace: Viele für den Händler relevante Informationen bleiben unerreichbar in den Datenbanken der Plattformen. Insbesondere dann, wenn Instagram und Co. bald auch noch den Bezahlvorgang abwickeln. Dara Kossok-Spieß vom HDE sieht diese Entwicklung kritisch. Sie empfiehlt Händlern, die Hoheit über den Checkout, und damit über wichtige Nutzerdaten, bei sich zu behalten: „Händler verlieren schon jetzt viele Daten, wenn sie auf den Plattformen ihre Produkte anbieten. Welcher Nutzer wann wo geklickt hat, wissen sie nur bedingt.“
Der Checkout auf der Plattform würde dieses Ungleichgewicht verschärfen. Derzeit ist nicht abzusehen, ob die Plattformen ihre Händler an dem Datenschatz, den sie durch Social Commerce anhäufen, beteiligen. Im Gegenteil: Die Daten über das Einkaufsverhalten dürften den Konzernen helfen, ihre Plattformen noch besser zu monetarisieren. Gleichzeitig wird die Abhängigkeit der kleinen Händler noch größer.
Fazit
Social Commerce wird kommen. Und fest steht: Wenn Händler ihre Vertriebsstrategie clever aufsetzen, die Vorteile der Plattformen wahrnehmen und sie für zusätzliches Geschäft nutzen, kann der Kanal das E-Commerce-Wachstum signifikant beschleunigen. Noch mehr werden allerdings die Netzwerke profitieren, die ihre Marktmacht weiter stärken werden.