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Ausgabe: 06 / 23 Lesedauer: min

Einsatzgebiete

KI im Handel: Das sind die wichtigsten Einsatzbereiche

Der Handel nutzt KI-Technologien schon seit Jahren - in unterschiedlicher Ausprägung und nach unterschiedlichem Verständnis des Begriffs "KI". Das sind die aktuell wichtigsten Einsatzmöglichkeiten für E-Commerce- und Omnichannel-Händler.

Künstliche Intelligenz gilt als die Zukunftstechnologie. Doch viele Handelsunternehmen vermissen noch konkrete Anwendungen für ihren Geschäftsalltag. Das hat jüngst die Umfrage "Künstliche Intelligenz im Handel" des Handelsverbands Deutschland und Safaric Consulting ergeben.

Die Anbieter solcher konkreten Anwendungen stehen allerdings schon längst in den Startlöchern. Wir haben uns umgesehen, welches Potenzial die Technologie für die verschiedensten Aspekte im E-Commerce hat und stellen praktische Einsatzbereiche vor:

Dynamic Pricing

Kaum ein Faktor dürfte beim Einkaufen im Internet eine so große Rolle spielen wie der Preis. Das Internet schafft Preistransparenz und Kunden kaufen üblicherweise dort, wo ein Produkt am günstigsten ist. Deshalb ist es für Online-Handelsunternehmen ein großer Vorteil, die Preise der Konkurrenz zu kennen.

Dabei helfen Pricing-Tools. Sie können mit viel Rechenpower große Datenmengen in kurzer Zeit verarbeiten. Preisanalyse-Tools helfen auch dabei, den eigenen Warenbestand differenziert zu betrachten: Welche Artikel erhöhen die Frequenz im Shop? Bei welchen Artikeln sind Kund:innen sehr preisempfindlich, bei welchen eher weniger? Wie groß ist der Warenbestand und welchen Einfluss hat das auf den Preis? Für Antworten auf solche Fragen kommt Künstliche Intelligenz zum Einsatz.

Mit der entsprechenden Datenbasis und mit großer Rechenleistung fließen interne Daten wie Einkaufspreis, Marge, Lagerbestand und externe Daten wie Wettervorhersage, Trendanalysen oder Wettbewerbsdaten in die Preisfindung ein. Experten gehen davon aus, dass Künstliche Intelligenz zum entscheidenden Instrument werden wird, um die Preise an die Nachfrage, an Lagerbestände und Wettbewerbsaktivitäten anzupassen.

Tools für Dynamic Pricing sind beispielsweise XPLN, "Reactev" von Minderest oder "Quicklizard" des gleichnamigen Unternehmens aus Tel Aviv.

Recommendation & Suche

Was meinen Kunden wirklich, wenn sie einen Begriff in die Suchzeile eines Shops eingeben? Welches Kaufziel steckt hinter einem Suchwort? Je besser die Such-Lösung diese Absicht (englisch "intent") erkennen kann, desto genauer werden die Ergebnisse, die dem Kunden im Shop präsentiert werden.

Die Shop-Suche und die daraus resultierenden Empfehlungen (Recommendations) im Online-Shop zählen zu den Anwendungen im E-Commerce, die schon früh auf Künstliche Intelligenz setzten.

Tool-Anbieter für Recommendation und Suche sind beispielweise Epoq, Findologic (Nosto) und Fact Finder (Omikron Data Quality GmbH). Google bietet ebenfalls cloudbasierte KI-Lösungen für die Suche und die Personalisierung im E-Commerce an, zum Beispiel "Cloud Retail Search".

Wie stark sich die Suchfunktion im Shop verändern wird, zeigt Zalandos neuer Fashion Assistant auf Basis von ChatGPT. KundInnen können mit ihren eigenen Worten nach Produkten suchen und im Sortiment intuitiver navigieren.

Personalisierung

Kunden im Shop dazu zu motivieren, tatsächlich auch etwas zu kaufen, ist die Königsdisziplin im E-Commerce. Was dabei hilft: Der Shop-Besucherin möglichst genau die Produkte zu präsentieren, die sie gerade sucht - oder sie für den Kauf weiterer Produkte zu inspirieren. Genau das soll Künstliche Intelligenz für die Personalisierung im Shop leisten.

Besucht beispielsweise eine Kundin mit einer Vorliebe für bequeme Sneaker den Shop, werden ihr komfortable Sportschuhe präsentiert. Surft ein Kunde mit einer Vorliebe für elegante Business-Schuheden Shop an, setzt sich der Content auf der Homepage neu zusammen und der Fokus liegt auf schicken Business-Schnürern.

Moderne Tools können den Shop auch dann personalisieren, wenn über die Besucher noch recht wenig bekannt ist. Sie verwenden dazu unterschiedliche Daten wie Uhrzeit, Wetter, die Art des Geräts und ähnliches. Je tiefer sich jemand durch den Shop klickt, desto fein abgestimmter wird die Personalisierung.

Anbieter von Personalisierungstools sind beispielsweise Trbo, Epoq und Nosto. Anbieter von Commerce-Lösungen wie Salesforce, Shopify und Adobe verwenden ebenfalls KI für die Personalisierung von Online-Shops.

Automatisierte Texterstellung

Produkte beschreiben, Marketing-E-Mails verfassen, einfache Kundenanfragen beantworten: Diese Aufgaben dürfte in vielen Marketing-Teams künftig Kollege KI übernehmen. Die Qualität der Texte steht und fällt jedoch mit der Qualität der zugrundeliegenden Daten. So sollten beispielsweise die Produktdaten möglichst viele und ausdifferenzierte Eigenschaften beinhalten. Nur dann können die automatisiert generierten Texte das jeweilige Produkt möglichst genau beschreiben. Ein weiterer Vorteil solcher Tools: Liegen die Produkttexte einmal vor, können sie ganz schnell automatisiert in weitere Sprachen übersetzt werden. Tools für Produkttexte "auf Knopfdruck" stammen beispielsweise von AX Semantics, Mindverse oder Retresco.

Doch die Textautomaten beschränken sich nicht nur auf Produktbeschreibungen. Sie können auch E-Mails, Social-Media-Posts oder Blogeinträge verfassen. Die Consultants des Marktforschungsunternehmens Gartner gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2025 bereits 30 Prozent der ausgehenden Marketingnachrichten großer Organisationen von Maschinen generiert werden - gegenüber weniger als zwei Prozent im Jahr 2022. Dennoch: Es ist ratsam, dass die jeweils Verantwortlichen den Output der KI für Marketingzwecke nochmal prüfen, bevor er versendet oder veröffentlicht wird. Denn Künstliche Intelligenz lernt zwar ständig dazu, macht aber auch Fehler.

Große Software-Unternehmen wie Adobe oder Salesforce integrieren generative KI in ihre Cloud-Lösungen. Die Tools können beispielsweise Marketing-Texte umformulieren, deren Tonalität ändern oder Content-Varianten erstellen. Auf die Erstellung von Marketingtexten hat sich ebenfalls Neuroflash spezialisiert.

Quelle: Adobe

Produktbilderstellung

Inspirierende und aussagekräftige Bilder sind die Basis jeder guten Produktdetailseite. Aber auch Mood-Bilder sind wichtige Elemente, um die Einkaufslaune der Shopper zu steigern. Kurz: Gute Bilder sind wichtig für die Conversion-Rate.

Mit KI-Bildgeneratoren können sich Online-Händler von Maschinen dabei helfen lassen, Bilder für ihren Online-Shop zu erzeugen und zu gestalten. Das Schema der Bild-Generatoren ähnelt sich: Anwender tippen eine Bildbeschreibung ("Prompt") ein und die KI erschafft aus diesen Angaben ein Bild. Meist bieten die Anwendungen mehrere Ergebnisse zur Auswahl an.

Manche Tools ermöglichen es, ein Bild hochzuladen und es mithilfe von KI zu bearbeiten, zum Beispiel den Hintergrund zu verändern, den Kontext oder die Farben. Dabei sollten Händler aber darauf achten, dass sie die nötigen Nutzungsrechte haben und keine Urheberrechte von Dritten verletzen. Wer beispielsweise Produktbilder von Herstellern im Online-Shop verwendet, sollte vorher die Rechtesituation klären.

Wenn die Rechtefrage klar ist, kann KI bei der Produktbilderstellung sehr nützlich sein. Denn Bilder lassen sich damit leicht erstellen oder verändern. So ist zum Beispiel gut vorstellbar, wie sich die Abbildungen einzelner Produkte einfach variieren lassen. Mit der Änderung des Hintergrunds können sie ohne großen Aufwand immer wieder anders in Szene gesetzt werden, zum Beispiel an die Jahreszeit oder an bestimmte Ereignisse angepasst. Weiter gedacht, könnten sich Online-Shops dann auch über ihre Bildsprache von anderen Shops unterscheiden.

Bild-Generatoren sind beispielsweise Dall-e von OpenAI, Stable Diffusion oder Adobe Firefly.

Chatbots

Chatbots beantworten auf vielen Webseiten schon einfache Kundenanfragen automatisch. Sobald die Fragestellung individueller, sprich schwieriger, wird, müssen sie aktuell noch passen. Doch künftig werden auch komplizierte Kundenfragen von Sprach-KI beantwortet werden. Daran arbeiten Anbieter wie Moin AI, Parloa oder Userlike.

Quelle: Moin AI

Auch hier machen die zugrundeliegenden Daten und die Art des Zugriffs auf diese Wissensdaten den Unterschied. So beschreibt beispielsweise Userlike die Fähigkeit seines neuen KI-Chatbots: "Im Gegensatz zu regelbasierten Bot-Lösungen, die einem starren Skript und Wenn-Dann-Prinzip folgen, zieht unser neuer KI-Chatbot seine Antworten aus der zentralen Wissensdatenbank."

Wenn Online-Shops Anwendungen nutzen, die auf generative Künstliche Intelligenz setzen, ist Transparenz wichtig: Unterhält sich die Kundin mit einer echten Person oder mit einer Maschine? In den USA befasst sich die für Verbraucherschutz zuständige Behörde Federal Trade Commission (FTC) ausführlich mit den Folgen von generativer KI für Konsumenten. Michael Atleson ist für die FTC-Division of Advertising Practices tätig und gibt Unternehmen diesen Rat: "Die Menschen sollten wissen, ob die Antwort eines KI-Produkts sie aufgrund einer Geschäftsbeziehung zu einer bestimmten Website, einem Dienstleister oder einem Produkt leitet. Und natürlich sollten die Menschen wissen, ob sie mit einer echten Person oder einer Maschine kommunizieren."

Brand Protection

In der digitalen Welt umfasst der Markenschutz viele Aspekte: Produktpiraten und Plagiate aufspüren, Verletzung von Markenrechten beim Suchmaschinenmarketing ahnden oder das unberechtigte Verwenden von Bildern unterbinden. Lösungen für Brand Protection verwenden Machine Learning, um Online-Marktplätze, Social Networks und andere digitale Domains zu durchsuchen. Sie beobachten zum Beispiel,

• ob jemand in betrügerischer Absicht Anzeigen unter einem Markennamen erstellt, um Traffic umzuleiten,

• ob Betrüger mit Fake-Webseiten die offizielle Marken-Webseite nachahmen, um Produktfälschungen zu verkaufen oder

• ob mit einer Markenbezeichnung Phishing-Sites erstellt werden, um persönliche und finanzielle Informationen von Nutzern zu stehlen.

Beim Durchforsten solch großer Datenmengen weltweit sind die Möglichkeiten und die Fähigkeiten von Künstlicher Intelligenz hilfreich, weil die Maschinen Muster erkennen können. Anbieter von Plattformen für Brand Protection sind beispielsweise Sentryc und Red Points. Online-Marktplätze bieten ebenfalls Lösungen für den Markenschutz an, zum Beispiel Amazon Brand Registry oder die "Intellectual Property Protection Platform" von Alibaba.

Weitere Einsatzfelder

Die genannten Beispiele sind nur eine Auswahl an Möglichkeiten, wie Künstliche Intelligenz heute bereits im Handel verwendet wird. Es gibt noch viele weitere Bereiche wie die Sortimentsgestaltung, die Betrugsprävention oder das Lieferketten-Management. Aber auch die Verbesserung der Energieeffizienz eines Unternehmens, die Planung des Personalbedarfs oder Logistikabläufe werden künftig von KI unterstützt.

Diese Beispiele zeigen, wie die neue Technologie Prozesse vereinfachen, effizienter gestalten und hoffentlich auch verbessern wird. Generative KI wird aktuell in die verschiedensten Anwendungen und Lösungen integriert. Das schafft nicht nur großen, sondern auch kleinen und mittelständische Unternehmen einen einfachen Zugang zu dieser neuen Technologie.

Ingrid Schutzmann

verantwortet bei INTERNET WORLD das Ressort Tools und Services. Die Spezialistin für Shop-Software und Lösungen rund um den digitalen Einkauf hat die Evolution des Online-Handels von Anfang an journalistisch begleitet.
Die Nutzung von KI und das Urheberrecht
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