Einordnung
So profitiert der Handel von Künstlicher Intelligenz
Der Hype um ChatGPT hat das Thema Künstliche Intelligenz (KI) massiv in den Fokus gerückt. Dabei ist beim Handel KI schon länger ein höchst relevantes Thema. Die Mehrheit der Unternehmen investiert in die Technologie. Eine Übersicht zum Status Quo, der Planung und den Hindernissen.
Seit ChatGPT mal mit verblüffend guten, mal mit absurden Ergebnissen für Furore sorgt, ist das Thema Künstliche Intelligenz (KI) omnipräsent. So manch einer - wie etwa Bundesarbeitsminister Hubertus Heil - vergleicht die Auswirkungen mit denen der großen industriellen Revolution. Auch Martin Groß-Albenhausen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bevh, sieht im Thema ChatGPT eine klare Wachstumschance für den Onlinehandel. "Die Aufgabe für E-Commerce-Anbieter liegt darin, die 'Logik' von GPT 3.5 zu verstehen. Wie interpretiert die Künstliche Intelligenz Datensets, die Onlinehändler ihnen zur Verfügung stellen? Welche 'weichen' Informationen führen zu unterschiedlichen Aussagen - etwa zu einer anderen Gewichtung oder Priorisierung von Artikeldaten je nach Kontext der Kundenanfrage?" - all das sind seiner Meinung nach wichtige Fragen.
Wichtigste Technologie der nächsten drei Jahre
Der Handel setzt aber nicht große Hoffnung in GPT, sondern generell in Künstliche Intelligenz. Für 52 Prozent der Unternehmen ist sie die wichtigste technologische Entwicklung in den kommenden drei Jahren, hat das EHI in seiner Studie "Technologie Trends im Handel 2023" ermittelt. Das spiegelt sich im Marktvolumen wider: Der weltweite Markt für Künstliche Intelligenz im Einzelhandel beläuft sich im Jahr 2023 auf sechs Milliarden US-Dollar, hat das US-Marktforschungsinstitut Fact.MR ermittelt. Die Analysten gehen davon aus, dass die weltweite Nachfrage nach KI im Handel bis 2033 jährlich um gut 30 Prozent auf ein Gesamtvolumen von 85 Milliarden US-Dollar steigen wird.
Tatsächlich sind Lösungen und Anwendungen, die menschliches Lernen und Denken auf den Computer übertragen, um eigenständig Probleme bearbeiten zu können, schon seit Jahren nicht mehr aus dem Commerce-Alltag wegzudenken. Kaum ein Pricing- oder Risk-Management-Tool, kaum eine Marketing-Automatisierung, eine Personalisierungslösung oder ein Suchalgorithmus kommen noch ohne die Technologie aus - ganz egal, ob sie nun als Machine Learning oder oft marketingwirksamer als KI bezeichnet werden, die Begriffe werden nach wie vor nicht trennscharf verwendet.
Breites Anwendungsfeld
So sagt denn auch fast ein Viertel der Handelsunternehmen, die der HDE jüngst für die Neuauflage seiner Studie "Künstliche Intelligenz im Handel" befragt hat, dass sie bereits KI-basierte Lösungen im Einsatz haben - ein Plus von mehr als 200 Prozent gegenüber 2020. Der EHI-Studie zufolge, die eine sehr weite Definition von KI zugrunde legt, sind es sogar bereits 69 Prozent. Gleichzeitig messen die Händler KI-Projekten einen deutlich höheren Stellenwert zu als noch vor zwei Jahren. Grund dafür könnte neben dem gewachsenen Bewusstsein für die Vorteile von KI die höhere Verfügbarkeit an Tools sein, die eine effiziente Umsetzung erleichtern.
Im Marketing, in der IT und in der Logistik wollen Commerce-Unternehmen mehr KI einsetzen.
Am weitesten verbreitet sind KI-basierte Anwendungen demnach bei Kamerasystemen zum Diebstahlschutz am POS, bei der Belegbearbeitung in der Buchhaltung, für allgemeine Absatzprognosen, die Prüfung von Lieferantendaten sowie die Personalbedarfs- und Personaleinsatzplanung. Aber auch zur Verbesserung der Cybersicherheit und der Energieeffizienz kommt KI zum Einsatz.
Bei der Planung stehen neben generellen Themen wie Effizienzsteigerung, bessere Kundenbetreuung und Personalisierung die Erfahrungen der letzten Jahre im Mittelpunkt: Die aktuellen Herausforderungen wie unterbrochene Lieferketten und schwierige Vorhersehbarkeit des Geschäftsverlaufs durch ständig neue disruptive Ereignisse machen die Optimierung von Lagerflächen und die Bestandsoptimierung mit Ereignisprognosen zu wichtigen Themen für Commerce-Unternehmen.
Corona und der Ukraine-Krieg haben Spuren hinterlassen: Die KI-gestützte Optimierung von Lagerflächen und die Bestandsoptimierung mit Ereignisprognosen sind für Händler wichtiger geworden.
Projektübergreifende Anwendungen und KI-Strategien sind eher noch die Ausnahme. Die große Mehrheit kauft Stand-Alone-Lösungen für einzelne Themen ein oder verwendet Cloud-Dienste, was auch am stetig wachsenden Angebot liegen dürfte. Außerdem ermöglicht dieses Vorgehen oft eine schnellere und kosteneffizientere Umsetzung sowie die Nutzung externer Expertise. So nehmen mehr als zwei Drittel die Unterstützung von Software- oder Lösungsanbietern in Anspruch.
In die Weiterbildung von Mitarbeitenden und die Veränderung der Unternehmenskultur wollen Händler investieren.
Investitionen in Mitarbeiter und IT
Klar ist aber auch: Commerce-Betreiber brauchen mehr Know-how im eignen Haus. Die Weiterbildung von Mitarbeitenden und die Einstellung von KI-Experten stehen daher weit oben auf der To-Do-Liste der Investitionen, die künftig KI-Projekte erleichtern sollen. Außerdem wollen viele ihre IT-Technik auf Vordermann bringen und die Unternehmenskultur anpassen. Denn gerade in der Unterstützung durch das Management, im Professionalisierungsgrad des Projektmanagements und der Akzeptanz in den einzelnen Fachabteilungen sehen viele noch deutliche Hemmnisse.
Unternehmensinterne Herausforderungen wie Fachkompetenz, Projektmanagement und Überstützung durch das Management KI-Projekten im Weg.
Daneben sind die Kosten und die Verfügbarkeit passender Anwendungen Stolpersteine auf dem Weg zum KI-Einsatz. Maßgeblich entscheidend für den Erfolg eines Projekts ist jedoch die Datenqualität: 80 Prozent der vom HDE befragten Unternehmen schätzen sie als relevant oder sehr relevant ein – der mit Abstand höchste Wert.
In den Daten lauern Gefahren
Das ist nur zu verständlich, denn in den Daten lauern mit die größten Gefahren für Commerce-Unternehmen, wenn die Maschinen denken: Beim Sammeln der Daten müssen die Bestimmungen der Datenschutzgrundverordnung eingehalten werden, zudem müssen die Daten gut gegen den Zugriff Unbefugter gesichert sein. Deswegen ist es ratsam, bei KI-Projekten einen Datenschutzbeauftragten einzubeziehen.
Darüber hinaus bergen unzureichende Daten das Risiko schwerwiegender unternehmerischer Fehlentscheidungen – insbesondere, weil die dahinter liegenden Algorithmen schwer zu kontrollieren sind. Fehler wie diskriminierende Entscheidungen oder unbewusste Manipulationen sind daher oft nur schwer zu entdecken, die Abschätzung möglicher Folgen ist schwierig. Dazu kommt die Haftungsfrage, wenn die KI unpassende Kaufempfehlungen liefert oder unfähige Sprachcomputer in der Telefon-Hotline für Ärger sorgen. Wichtig sind hier gute Verträge, die vor unliebsamen Überraschungen schützen.
Neben technischen Problemen müssen Commerce-Betreiber auch wirtschaftliche und strategische Herausforderungen meisten.