KOMMENTAR

Ausgabe: Juni 2023 Lesedauer: min

Die Open-Source-Debatte ist nur ein Ablenkungsmanöver

Meta öffnet seine KI-Modelle, vorgeblich um Wissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, Schwachstellen aufzuspüren. Die Konkurrenz hält das für fahrlässig und verweist auf die Risiken für die Allgemeinheit. Um die geht es in der ganzen Debatte aber nur am Rande, findet W&V-Redakteur Maximilian Flaig.

Metas' Europachef Tino Krause brauchte nur zwei Sätze, um eine Grundsatzdiskussion auf den Punkt zu bringen: "Andere Unternehmen verfolgen den Ansatz, ihre KI-Modelle als ihr geistiges Eigentum zu sehen", sagt Krause im W&V-Interview. "Wir dagegen verfolgen den Open-Source-Ansatz."

Das klingt altruistisch. Ist aus Meta etwa eine Wohltätigkeitsorganisation geworden? Frei nach dem Motto: Lass die anderen mal schön Geld verdienen mit ihren KI-Modellen, wir verschenken unsere lieber?

Das ist natürlich Quatsch. Selbstverständlich will auch Meta Kohle machen mit KI. Der Facebook-Konzern fährt nur eine ganz andere Strategie als die Konkurrenz. Während Google und ChatGPT-Entwickler OpenAI den Code ihrer Modelle geheim halten und ausdrücklich davor warnen, ihn zu veröffentlichen, macht Meta genau Letzteres.

Beispielsweise öffnete Meta das Large-Language-Model, LLaMA, für die Developer-Community und die Wissenschaft. Das Sprachmodell kann locker mit den Fähigkeiten von ChatGPT mithalten, heißt es.

Maximilian Flaig findet: Der Fokus auf die gesellschaftlichen Risiken lenkt von den eigentlichen Beweggründen der Konzerne ab.

Ein User leakte den gesamten Code

"Wir sind offen und transparent", sagt Krause über die Öffnung, die zum einen neue Anwendungsfelder erschließe. Zum anderen "werden so die Modelle auf den Prüfstand gestellt und Schwachstellen in der KI, sogenannte Biases, gefunden und ausgemerzt."

Unrecht hat Krause damit nicht. Viele KI-Forscher, vor allem aus dem öffentlichen Sektor, begrüßen diese Transparenz. So könnten sie die Systeme genaustens unter die Lupe nehmen und womöglich verhindern, dass sie Schaden anrichten.

Die Konkurrenten von Meta sehen das anders. Sie halten argumentativ dagegen. Allen voran die Chefriege von OpenAI verurteilt Metas' Offenheit als eine Gefahr für die Allgemeinheit. Akteure mit niederen Absichten könnten so an fortschrittliche KI-Modelle gelangen, lautet die Sorge. Auch dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen und hat sich sogar bewahrheitet:

Kurz nachdem Meta sein Sprachmodell LLaMA für bestimmte Personen – darunter neben dem akademischen Bereich auch Mitarbeiter von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie Forscher aus der Industrie – zugänglich gemacht hatte, leakte ein User den gesamten Code. Berichte darüber, dass das Modell missbraucht wurde, um rassistische Äußerungen zu produzieren, machten die Runde.

Meta setzt auf Masse

So haben sowohl der Open-Source-Ansatz als auch das Beharren auf geistigem Eigentum ihr Für und Wider. Dass die Tech-Konzerne in dieser Grundsatzdiskussion den Fokus auf die gesellschaftlichen Folgen legen, führt jedoch am Kern der Sache vorbei. Meta, OpenAI und Co. lenken damit von den eigentlichen Beweggründen ihrer jeweiligen Strategie ab. Beweggründe, die rein von den eigenen wirtschaftlichen Interessen getrieben sind.

Es ist doch so: OpenAI besitzt mit ChatGPT ein gut laufendes Geschäftsmodell. User zahlen 20 US-Dollar im Monat, um alle Funktionen nutzen zu können. Unternehmen, die den Code von OpenAI einsetzen wollen, um beispielsweise Tools zur automatisierten Texterstellung zu entwickeln, müssen einen Lizenzvertrag abschließen. Kurz: OpenAI erwirtschaftet Umsatz mit seiner Software. Warum sollte das Unternehmen sie also kostenlos als Open-Source hergeben?

Meta hingegen war 2022 mit dem Metaverse beschäftigt und hat den KI-Boom womöglich gar nicht kommen sehen, sicher aber verschlafen. Allmählich wacht Meta auf, hat aber anders als OpenAI noch kein funktionierendes Produkt. Um Boden gutzumachen, schmeißt der Konzern seinen Code nun (fast) jedem, der ihn haben will, hinterher. Meta setzt auf Masse, auf Skaleneffekte. Die Logik: Je mehr Leute mit den Open-Source-Modellen arbeiten, desto größer wird der Einfluss der Zuckerberg-Firma.

Ein fiktives, aber nicht unwahrscheinliches Szenario: In irgendeiner Garage in San Francisco entwickeln IT-Studenten auf Grundlage von LLaMA einen Chatbot, der ChatGPT bei weitem überlegen ist. Diese Studenten gründen anschließend ein Startup, in das Meta erst als Investor einsteigt, um es wenig später komplett zu übernehmen.

Auch OpenAI startete als Non-Profit mit dem hehren Ziel "Wert für alle, anstatt für Aktionäre zu schaffen". Dann kamen die Microsoft-Milliarden. Der Rest ist Geschichte. Nicht auszuschließen, dass Meta gerade versucht, diese Geschichte zu wiederholen.   

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