Case Geberit

Ausgabe: Juni 2023 Lesedauer: min

Geberit: Eine diskrete KI für peinliche Kundenfragen

Der Sanitärhersteller Geberit hat einen beliebten Artikel im Angebot, nach dem sich viele nicht zu fragen trauen. Denn das Produkt für viele immer noch ein Tabu-Thema. Die Lösung: Ein KI-gestützter Chatbot senkt die Hemmschwelle und nimmt die Peinlichkeit.

Es gibt Produkte, bei denen die Beratung der potenziellen Kunden etwas schwieriger ist. Nicht unbedingt, weil sie so kompliziert sind. Manchmal ist es den Kunden auch einfach unangenehm, bestimmte Fragen zu stellen.

Ein solches Produkt ist das Aqua Clean Dusch-WC des Sanitärproduktherstellers Geberit, der sowohl den Fachhandel als auch Handwerker und Privatkunden beliefert. Das WC, das per Knopfdruck mit einem Wasserstrahl nach dem Toilettengang die Intimhygiene übernimmt, finden viele Menschen zwar interessant. Sie wagen jedoch häufig nicht, am Telefon oder im direkten Gespräch mit dem Geberit-Team detaillierte Informationen zu erfragen.

Das Dusch-EC von Geberit gab den Anstoß, einen KI-Chatbot einzuführen. (Bild: Geberit)

Da musste erst eine künstliche Intelligenz mit ins Spiel kommen, um die Barriere der Peinlichkeit zu überwinden. "Die Zugriffszahlen auf die Website waren getrieben durch Off- und Online-Kampagnen seit jeher entsprechend hoch, was auf ein grundsätzliches Interesse am Produkt schließen ließ", erinnert sich Thomas Brückle, CMO von Geberit.

"Aber trotz intensiver Verkaufsschulungen taten sich unsere Fachpartner und dabei insbesondere das Handwerk nach wie vor schwer, weiterführende Fragen von potenziellen Käufern zu beantworten."

Der logische nächste Schritt war, einen KI-gestützten Chatbot mit dieser Aufgabe zu betrauen. Und zwar schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt: Der Service wurde für das Geberit Aqua Clean Dusch-WC bereits 2018 gestartet.

Also lange, bevor der Hype um künstliche Intelligenz begann. "Es war zunächst vielmehr Neugier, die sehr schnell aus einem Pilotprojekt ein relevantes und wirksames Marketing- und Service-Tool werden ließen, das ständig technisch weiterentwickelt und um immer neue Funktionen und Frageabsichten erweitert wurde", so Brückle.

Die Kunden akzeptierten den KI-Chatbot sofort

Das Projekt wurde zusammen mit der Knowhere GmbH und deren Tool Moin.ai in Angriff genommen. Die Implementierungszeit vom ersten Workshop bis zum Going-live des KI-gestützten Chatbots dauerte gerade mal sechs Wochen; dann legte der Service mit den ersten 25 Frageabsichten los.

Und der virtuelle Berater lernte schnell dazu: Nach einem Jahr waren mehr als 100 Frageabsichten implementiert. Was den Marketingchef von Geberit dabei überraschte, waren zum einen die nach seiner Einschätzung "überschaubaren Kosten". Aber, fast noch entscheidender: Die Kunden nahmen den Chatbot vom ersten Tag an gut an.

"Insbesondere während der Pandemiephase haben wir durch den Homing-Effekt eine Vervielfachung der Interaktionen festgestellt, da sich Endkunden auf einmal intensiv mit ihren eigenen vier Wänden und somit auch dem Bad und dem Thema Dusch-WC auseinandergesetzt haben", sagt Brückle.

Zwischenzeitlich seien die Interaktionen wieder auf einem normalen Niveau angelangt. Deren Anzahl hänge aber auch immer stark von der Intensität der Kampagnen für das Produkt ab.

Aktuelle Leistungsdaten der KI-Beratung von Geberit

Aktive Nutzer pro Monat: 3310

Interaktionen pro Monat: 6420

Human Takeovers pro Monat: 96

Automatisierungsgrad: 84 Prozent

KI-Genauigkeit: 77 Prozent

Der Chatbot von Geberit lernt stetig dazu. (Bild: Geberit)

Eine Million Mails geht an die richtigen Abteilungen

Das Unternehmen hat nach der positiven Erfahrung mit dem Pilotprojekt die KI-gestützten Prozesse weiter ausgebaut. Seither hat auch eine Veränderung beim Anbieter stattgefunden: Zum Januar 2023 wurde der KI-gestützte Chatbot von Knowhere durch eine Lösung von Microsoft ersetzt, die nach einem Customizing aber weitgehend der bisherigen Lösung entspricht.

Bereits seit 2021 gibt es bei Geberit im Marketing eine eigene Abteilung zur Einführung KI-gestützter Assistenzsysteme, seit diesem Jahr auch zusätzliche Ressourcen für Data Science und Data Analysis. In mehreren Servicebereichen wurde bereits ein professionelles Contact Center installiert, das verschiedene Kanäle wie Telefon, Mail und Live-Chat zusammenführt und mit dem CRM-System kommuniziert.

Das Besondere daran sei, "dass KI-gestützte Prozesse im Rahmen eines Mail-Routings aus mehr als einem Dutzend verschiedener Serviceadressen jährlich rund eine Million Mails mit Kundenanfragen automatisch in die richtigen Abteilungen leitet.

Vom Start weg war die KI hier im Gegensatz zum Menschen nahezu fehlerfrei", so Brückle. Im nächsten Schritt wird noch in diesem Jahr im Service Center ein KI-gestütztes System zur (semi-)automatischen Beantwortung von Mails eingeführt.

Die Kundenzufriedenheit stieg deutlich

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben nach anfänglicher Skepsis und Befürchtungen, dass die KI ihre Arbeitsplätze bedrohen könnte, die automatisierte Assistenz schätzen gelernt. Denn nun könnten sich die hochqualifizierten Kundenberater in den Servicebereichen auf die wirklich komplexen Kundenanfragen konzentrieren, während die KI-gestützten Assistenzsysteme wie der Chatbot einfache und ständig wiederkehrende Kundenanfragen automatisch beantwortet.

Die Kundenzufriedenheit sie ebenfalls angestiegen, so Brückles Bilanz: "Sie danken es uns, da die Erreichbarkeit deutlich gestiegen ist und gleichzeitig die Beratungsqualität zugenommen hat."

Die Fragen, die die Kunden in Sachen Dusch-WC haben, unterschieden sich im Übrigen mittlerweile von den verschämten Erkundigungen der Anfangszeit. "Immer mehr Privatkunden sind, getrieben durch die sozialen Medien, deutlich informierter und kaufen das Produkt vor allem aus Gründen des persönlichen Wohlbefindens", sagt Brückle.

Der KI-gestützte Chatbot ist zwar nach wie vor intensiv damit beschäftigt, den Kunden mit Rat zur Seite zu stehen - deren Fragen drehen sich nun aber eher um Funktion, Technik oder Montage.

Thomas Brückle, Marketing-Chef von Geberit. (Foto: Geberit)

Thomas Brückles Tipps für Unternehmen

  • Nicht vom Hype um ChatGPT irritieren lassen. Am Ende geht es darum, Unternehmensprozesse durch eine Automatisierung zu vereinfachen oder zu verschlanken, was schlichtweg ein paar Algorithmen übernehmen.
  • Im Rahmen eines Pilotprojektes klein anzufangen, um sich dann Schritt für Schritt weiterzuentwickeln. Gerade für KMUs sind Anbieter wie Knowhere geeignet. Sie ermöglichen mit einfach anzulernenden, zu bedienenden und zu integrierenden Systemen nicht nur einen schnellen, sondern auch unter Kostenaspekten attraktiven Einstieg.
  • Wer einen größeren Anbieter wie Microsoft in Erwägung zieht, muss sich darüber klar sein, dass dies für Unternehmen mehr Anspruch an das Know-how, größeren Aufwand und höhere Kosten bedeutet.

Manuela Pauker

Redakteurin

Die Hauptthemen von Manuela Pauker bei W&V sind Media und Social Media. Sie ist nach wie vor ein Fan von linearem Fernsehen, sucht als Serienfan aber auch ständig bei den Streaming-Anbietern nach neuem Content. Trotzdem: Zur Tasse Kaffee muss es eine Zeitschrift oder Zeitung sein.