KOMMENTAR

Ausgabe: Juli 2023 Lesedauer: min

Seibeweglich, sei mutig!

Auf Twitch treffen sich längst nicht mehr nur Gamer. Die Öffnung zu weiteren Zielgruppen hin macht die Plattform zunehmend interessant für Werbekunden. Viele schrecken aber davor zurück. Denn auf Twitch ist alles live - daher gelten andere Regeln. Etwa, dass die Marketer die Kontrolle abgeben. Eine unangenehme Vorstellung für viele, weiß W&V-Redakteurin Manuela Pauker. Aber warum eigentlich?

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Den Spruch kennt man zur Genüge – besonders wenn es darum geht, das bestmögliche Ergebnis für ein Vorhaben zu erzielen. Keine Frage, natürlich ist eine ordentliche Planung wichtig. Gerade beim Konzipieren und Produzieren von Werbekampagnen geht es zunehmend um Präzision. In Anbetracht der wachsenden Anzahl von Kanälen, auf denen die verschiedenen Maßnahmen koordiniert werden müssen, eine Notwendigkeit.

Leider ist Twitch ein Kanal, auf dem diese Art der Kontrolle so gar nicht funktioniert. Das Entertainment findet dort live statt. Streamer gehen auf Sendung – fürs Gaming, Plaudereien mit der Community, zum gemeinsamen Kochen oder was auch immer. Klassische Spots, die dort kurz mal in einer Werbeunterbrechung laufen – Fehlanzeige.

Wer ein Produkt oder eine Dienstleistung auf Twitch vorstellen will, tut dies üblicherweise im Rahmen einer Zusammenarbeit mit solchen Content Creators. Diese binden das jeweilige Produkt dann in ihre Performance ein, als Teil eines Spiels oder sonstiger Aktivitäten. Vieles passiert sehr spontan, manchmal geschieht Unvorhergesehenes, und auch kleine Pannen gehören dazu. Bei vielen Marketingmenschen, die detaillierte Briefings abgeben, löst diese Vorstellung jedoch starkes Unbehagen aus. Die Kontrolle abgeben? Das passt so gar nicht in ihre Vorstellung von erfolgreichen Kampagnen, bei denen alles bis ins kleinste Asset auf jeder Plattform durchgetaktet ist.

Manuela Pauker findet: Wer Twitch aus Angst vor Kontrollverlust vermeidet, verpasst die Chance auf neue Zielgruppen.

Die Nähe zum Creator baut Vertrauen auf

Wer alleine deswegen Werbung auf Twitch aus seinem Marketing-Mix streicht, macht jedoch einen Fehler. Denn die Communities fühlen sich "ihren" Streamern nah. Interaktionen dauern länger – oft bis zu mehreren Stunden. Und sie sind persönlicher als auf vielen anderen Plattformen. Diese Nähe sorgt auch dafür, dass den Produktempfehlungen von Streamern mehr vertraut wird als von vielen Influencern auf Instagram, Facebook & Co.

Wie gut das funktionieren kann, zeigt das Beispiel der Beauty-Influencerin und Em-Cosmetics-Gründerin Michelle Phan: Sie ist als Gamerin auf Twitch aktiv und nutzte ihre Streams, um Werbung für den Launch ihrer Make-up-Linie "Daydream Cushion" zu machen. Ihre Community war begeistert – und sorgte für einen gelungenen Verkaufsstart.

Von dem Make-Up wurden 278 Prozent mehr Einheiten verkauft als bei ihrer vorherigen Produkteinführung. 45 Prozent des Traffics auf der Website von Em Cosmetics kam von der rund dreieinhalbstündigen Streaming-Session. Knapp die Hälfte der an diesem Tag gezählten Verkäufe während des Live-Streams steuerte das dort beworbene Produkt bei. Übrigens kein Einzelfall: Teekanne steigerte den Verkauf seiner Energy-Tees der Marke "Power-T" während eines Twitch-Streams um 300 Prozent.

Ohne gestalterische Freiheit geht nichts

Eindeutig zu viel Potenzial, um es aufgrund der Angst vor dem Kontrollverlust liegen zu lassen. So ganz ohne Kontrolle ist man als Kunde ohnehin nicht: Man hat nach wie vor die Möglichkeit, sich den Creator oder die Creatorin auszusuchen und ihn oder sie früh in die Konzeption des Auftritts einzubeziehen.

Auf volles Risiko muss man ebenfalls nicht gehen. Ein Testauftritt, beispielsweise mit dem Einblenden eines Logos oder dem Abspielen eines Trailers, kann schon zeigen, ob die Kooperation passt.

Wer anschließend "richtig" darauf einsteigt, muss aber akzeptieren, dass die Creator ihre gestalterische Freiheit brauchen – was schon deswegen erforderlich ist, da auf Twitch eine eigene Sprache gesprochen wird. Alles andere ist nicht mehr authentisch, was auch die Community sofort bemerken würde. Und das wäre nicht nur für den Werbeerfolg negativ, sondern auch für den oder die Streamer:in.

Also: Liebe Werber, habt etwas mehr Vertrauen in Eure Creators.  Sie wissen, wie ihre Zielgruppe tickt. Und es ist ja auch in deren eigenem Interesse, einen Werbepartner nicht schlecht aussehen zu lassen. Zu viel Kontrolle steht einer erfolgreichen Kampagne auf Twitch nur im Weg.

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