— Anzeige —

Überblick

Ausgabe: 07/23 Lesedauer: min

Analyse

Produktpass, Recht auf Reparatur und Produkthaftung

Händler, D2C-Anbieter und Hersteller müssen sich in den kommenden Jahren auf eine ganze Reihe neuer Vorschriften einstellen. Sie beziehen sich auf erweiterte Informationspflichten, längere Haftungszeiten und die Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit von Produkten. Die EU-Richtlinien und -Verordnungen dazu sind noch im Entwurfsstadium. Wir erklären, was auf den Handel und auf Hersteller zukommt.

— Anzeige —

1. Der digitale Produktpass

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag festgehalten, dass bis 2030 Produkte einen digitalen Produktpass bekommen sollen. Dieser Pass soll ein Produkt während seines Lebenszyklus begleiten - angefangen von seinen Rohstoffen bis zu seinem Recycling. Mit dem Produktpass soll es einen zentralen Ort geben, der alle Informationen zum Produkt enthält und diese anschließend ganz gezielt für die entsprechenden Nutzungsgruppen bereitstellt, zum Beispiel die verwendeten Materialien und deren Wiederverwertbarkeit, Informationen zur Lieferkette, zum CO₂-Abdruck oder zur Reparierbarkeit.

Die gesetzliche Grundlage dafür wird jedoch von der EU kommen, und zwar im Rahmen der neuen Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte (Ecodesign for sustainable products Regulation, kurz: ESPR). Diese Ökodesign-Verordnung ist zentraler Baustein des "European Green Deal", mit dem sich die EU zum Ziel gesetzt hat, bis 2050 klimaneutral zu wirtschaften.

Im Mai dieses Jahres hat der EU-Wettbewerbsrat seine Position dazu veröffentlicht, jetzt müssen die EU-Mitgliedstaaten gemeinsam mit der EU-Kommission und dem Europäischen Parlament den finalen Entwurf verhandeln und verabschieden. Der Zeithorizont dafür steht noch nicht fest. Wenn es so weit ist, gilt die Verordnung unmittelbar auch in Deutschland. Ein eigenes deutsches Gesetz ist nicht nötig, dementsprechend wird es vermutlich keine zusätzliche deutsche Regelung geben.

Allerdings wird die Verordnung keine konkreten Vorgaben für einzelne Produkte enthalten, sondern lediglich die Anforderungen an einzelne, konkrete Produktverordnungen definieren. Für diese Einzelregelungen wird es einen gesonderten Zeitplan geben - ein typisches Vorgehen auf EU-Ebene, um komplexe Sachverhalte zu regeln.

Noch besteht für Händler kein konkreter Handlungsbedarf: "Viele Details sowie der Verordnungstext sind noch nicht abschließend verhandelt und abgestimmt. Grundsätzlich sollten man sich mit der Thematik befassen, aber die endgültige Regelung abwarten“, lautet daher die Einschätzung des Bielefelder Fachanwalts Marcus Beckmann.

Der digitale Produktpass - ein lückenloser Lebenslauf für Waren

  • Um welches Gesetz geht es? EU-Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte
  • Seit/Ab wann ist es in Kraft? Entwurf befindet sich im EU-Gesetzgebungsverfahren. Termin der Verabschiedung/des Inkrafttretens noch offen
  • Was bezweckt das Gesetz? Der digitale Produktpass soll die Komponenten, Materialien und chemischen Substanzen, Informationen zu Reparierbarkeit, Ersatzteilen oder fachgerechter Entsorgung für ein Produkt in einem Datensatz zusammenfassen.

Für Händler bedeutet das: Solange der endgültige Rechtstext nicht verabschiedet ist, ist nicht klar, welche Pflichten auf sie zukommen werden. Sehr wahrscheinlich ist, dass sie zumindest sicherstellen müssen, dass für jedes Produkt der entsprechende Produktpass zur Verfügung steht, sie diesen also bei den Herstellern einfordern und an Verbraucher weitergeben müssen. Händler mit Eigenmarken und D2C-Anbieter werden darüber hinaus wohl einen Produktpass bereitstellen müssen. Viele verwenden heute schon ein Product Information Management System. Eine Möglichkeit wäre, die Daten zu Produkten, die in solchen Datenbanken abgespeichert werden, um die Daten anzureichern, die der digitale Produktpass verlangt.

Mit der Umsetzung eines solchen Produktpasses experimentiert Otto seit einiger Zeit. Vor gut einem Jahr hat der Versandhändler testweise eine kreislauffähige Modekollektion mit neun Kleidungsstücken präsentiert. Die recycelbaren Textilien wurden so entworfen und produziert, dass die verwendeten Rohstoffe wiederverwertet werden können. Jedes Kleidungsstück verfügt zudem über einen digitalen Produktpass in Form eines fest vernähten NFC-Tags. Dieser Speicherchip soll alle wichtigen Informationen zum Material, zur Produktion und zum richtigen Rückgabekanal enthalten, sodass Alttextilsortierbetriebe die Bekleidung und ihre Bestandteile später genau identifizieren können. Kunden sollen die im Produktpass hinterlegten Informationen mithilfe ihres Smartphones einsehen können.

Die neue Ökodesign-Verordnung soll nach der Willen der EU auch ein Verbot der Vernichtung gebrauchsfähiger Waren enthalten. Ein solches Verbot hätte in jedem Fall Auswirkungen auf Händler, da die gängige Retourenpraxis heute noch oft die Vernichtung der zurückgeschickten Waren vorsieht. Wie die Regelung genau aussehen soll, ist jedoch noch nicht abzusehen.

Digitaler Produktpass

Ein digitaler Produktpass kann relevante Informationen für unterschiedliche Nutzergruppen und Zwecke liefern.

Quelle: Eggheads

— Anzeige —

2. Recht auf Reparatur

Ebenfalls Teil des Koalitionsvertrags der Bundesregierung sowie des "Green Deals" der EU ist das Recht auf Reparatur. Die Bundesregierung will hier jedoch nicht selbst die Initiative für eine gesetzliche Regelung ergreifen, sondern sich auf EU-Ebene für das Recht stark machen. Geplant ist lediglich ein nationaler "Reparierbarkeitsindex", falls es nicht zu einem entsprechenden EU-weiten Label kommen sollte. Er soll Auskunft darüber geben, wie leicht Einzelteile austauschbar sind oder wie langlebig ein Produkt ist.

Die EU-Kommission hat ihrerseits im März dieses Jahres einen Richtlinien-Entwurf für ein Recht auf Reparatur für Verbraucherprodukte vorgelegt. Er sieht vor, dass Konsumenten einen Anspruch darauf haben, dass beispielsweise Haushaltsgeräte wie Geschirrspüler, Kühlgeräte oder Staubsauger, aber auch Produkte wie Smartphones oder Tablets repariert werden - und zwar auch dann, wenn der Verkäufer nach den gesetzlichen Gewährleistungsvorschriften nicht haftet oder der Verbraucher den Mangel selbst verursacht hat. Dem Entwurf zufolge darf die Reparatur kostenpflichtig sein und von einem Subunternehmen vorgenommen werden. Die Hersteller sind verpflichtet, auch unabhängigen Reparaturbetrieben die für die Reparatur nötigen Informationen bereitzustellen und Zugang zu den erforderlichen Ersatzteilen zu gewährleisten. Zudem sollen die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, Online-Plattformen zu schaffen, über die Verbraucher geeignete Reparaturbetriebe und Verkäufer aufbereiteter Waren finden können.

Die neue Richtlinie befindet sich noch im EU-Gesetzgebungsverfahren. Wann sie verabschiedet wird, steht noch nicht fest. Zudem muss eine EU-Richtlinie dann noch in deutsches Recht umsetzt werden, dafür gelten in der Regel Übergangsfristen.

Auch hier gilt: In erster Linie sind hier Hersteller in der Pflicht. Inwieweit Händler in das Procedere einbezogen werden, ist noch nicht klar.

Recht auf Reparatur

  • Um welches Gesetz geht es? EU-Richtlinie für Recht auf Reparatur von Verbraucherprodukten
  • Seit/Ab wann ist es in Kraft? Noch im Entwurfsstadium
  • Was bezweckt das Gesetz? Waren bestimmter Produktgruppen sollen repariert werden können.
  • Welche Unternehmen sind direkt betroffen? Hersteller dieser Produktgruppen, zum Beispiel von Waschmaschinen, Servern, Datenspeicherprodukte, elektronische Displays und andere

3. Produkthaftung

Die EU arbeitet daran, die Produkthaftung zu erweitern. Die EU-Kommission hat dafür einen Vorschlag für die Überarbeitung der Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte vorgelegt. Nach Angaben von Fachanwalt Beckmann sind folgende Regelungen vorgesehen:

  • Die Haftung, die bislang nur für bewegliche Sachen und Energie galt, soll auf digitale Produkte einschließlich Software und Produkte auf Basis von künstlicher Intelligenz ausgeweitet werden. Zudem haften künftig nicht nur Hersteller, sondern auch Fulfillment-Dienstleister und Unternehmen, die erhebliche Veränderungen an einem Produkt vornehmen. Hat ein Hersteller keinen Sitz in der EU, muss er einen sogenannten "Bevollmächtigten nach dem Produktsicherheitsgesetz" benennen, der in der EU ansässig ist. Auch dieser haftet wie der Hersteller selbst.
  • Die bisher geltenden Selbstbehalte von 500 Euro für Sachschäden und die Haftungshöchstgrenzen von 85 Millionen Euro bei Personenschäden sollen ersatzlos gestrichen werden.
  • Herstellern sollen auch nach dem Inverkehrbringen eines Produkts Kontroll- und Update-Pflichten, etwa für Software, auferlegt werden. Die Haftung soll bestehen bleiben, auch wenn der Produktfehler zunächst nicht erkennbar war, jedoch durch ein Update hätte beseitigt werden können.
  • Die Beweisführung bei einem Schaden soll zugunsten des Geschädigten erleichtert werden, Hersteller sollen nötige Beweismittel wie etwa Konstruktionsunterlagen bei Bedarf herausgeben müssen. Zudem sollen Verbandsklagen auf Entschädigung, Reparatur oder Preisminderung durch qualifizierte Vereine möglich sein.

Auch diese Richtlinie ist noch im Entwurfsstadium und muss erst von der EU verabschiedet werden. Geplant ist, dass die Mitgliedsstaaten die Richtlinie binnen zwölf Monaten nach Inkrafttreten in nationales Recht umsetzen müssen.

Händler, die Produkte lediglich vertreiben, werden voraussichtlich eine Mitwirkungspflicht erfüllen müssen: Sie müssen in der Regel dazu beizutragen, dass nur sichere Verbraucherprodukte angeboten werden, dürfen also keine Produkte in Verkehr bringen, von denen sie wissen, dass sie nicht den erforderlichen Anforderungen entsprechen.

Die Überarbeitung der EU-Produkthaftungsrichtlinie

  • Um welches Gesetz geht es? Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte
  • Seit/Ab wann ist es in Kraft? Die EU-Kommission hat im September 2022 den Entwurf für die Überarbeitung vorgelegt. Die Richtlinie befindet sich im EU-Gesetzgebungsverfahren
  • Was bezweckt das Gesetz? Eine erweiterte, aktualisierte Produkthaftung
  • Welche Unternehmen sind direkt betroffen? Hersteller, Fulfillment-Dienstleister, Unternehmen, die Änderungen an einem Produkt vornehmen

Christiane Fröhlich

Als freie Autorin beobachtet Christiane Fröhlich, welche Trends, Hypes und Flops die Commerce-Branche alljährlich produziert. Außerdem entstehen an ihrem Schreibtisch Artikel zu den technischen Aspekten von Web-Präsenzen: Shopsoftware und IT-Architektur, alle nötigen Lösungen rund um den Webshop, Usability oder Logistik sind die Themen. Dem E-Commerce und der Internetwirtschaft ist die Diplom-Journalistin seit 1997 verfallen; seither schreibt sie darüber, wie sich im Internet (mehr) Geld verdienen lässt.
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz
Nächstes Thema