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Ausgabe: 07/23 Lesedauer: min

Es bleibt gefährlich: Die aktuelle Rechtslage für Online-Händler

Trotz Anti-Abmahngesetz bleiben Abmahnungen für Online-Händler an der Tagesordnung. Zudem halten neue Regelungen, freche Kunden und professionelle Betrüger die Shopbetreiber auf Trab - das zeigt unser rechtlicher Überblick für den E-Commerce 2023.

Denkt man an Rechtsthemen im E-Commerce, kommt einem sogleich das Thema Abmahnungen in den Sinn. Das eigentlich vernünftig gedachte deutsche Wettbewerbsrecht ermöglichte es jahrelang, dubiosen Anwälten und eigens zu diesem Zweck gegründeten Vereinen bereits kleinste Fehler in Online-Shops mit teuren Abmahnungen zu belegen und sich daran zu bereichern. Gerade kleine Online-Händler kamen dabei häufig an den Rand ihrer wirtschaftlichen Existenz. Zum Glück blieb dieser Abmahnmissbrauch auch der Politik nicht verborgen, die darauf Ende 2020 mit dem "Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs" reagierte. Seitdem gibt es klare Bedingungen, die festlegen, wann es sich um missbräuchliche Abmahnungen handelt. Und eine vom Bundesamt für Justiz geführte Liste bestimmt, dass nur noch die darin aufgeführten qualifizierten Wirtschaftsverbände berechtigt sind, mit dem Rechtsmittel der Abmahnung gegen unerlaubte Wettbewerbsvorteile vorzugehen.

Beginn einer sorgenfreien Zeit?

Endlich einmal ein Problem, das gelöst wurde! Und für den deutschen Online-Handel damit der Beginn einer sorgenfreien Zeit? Nicht unbedingt, meint Felix Barth, der sich als Fachanwalt der Münchner IT-Recht-Kanzlei mit den täglichen Sorgen der Shopbetreiber auseinandersetzt. "Nach dem sogenannten Antiabmahngesetz haben die Abmahnungen erst einmal deutlich nachgelassen und einige der schlimmsten Abmahnvereine hat es in der Folge auch zerbröselt", berichtet der Rechtsexperte. "Doch mit der Zeit haben die Abmahner umgedacht und nach neuen Kniffen gesucht. Heute haben wir damit gewissermaßen eine Situation ‚Abmahnung 2.0‘, bei der andere Akteure und Themen im Mittelpunkt stehen, aber die Abmahntätigkeit wieder ähnlich hoch ist wie vor 2020." Immerhin gehe es dank der neuen Gesetzgebung dabei nicht mehr darum, Händler abzuzocken und agierten inzwischen vor allem Wettbewerbszentralen als Urheber der Abmahnungen.

Basierend auf den Erfahrungen seiner Klienten nennt Barth häufige Abmahngründe: "Das sind fehlende Grundpreisangaben, eine fehlende Registrierung beim Verpackungsregister LUCID, fehlerhafte Rechtstexte wie Widerrufsbelehrung oder AGB, eine fehlende Verlinkung zur EU-Plattform zur Online-Streitbeilegung und irreführende Werbung." Außerdem gerieten Markenrechtsverstöße zunehmend in den Fokus von Abmahnungen.

Anders als früher, als viele kleine Händler schier daran verzweifelten, sich gegen ruinöse Abmahnungen zu schützen, handelt es sich heute dabei aber nicht mehr um eine unvermeidbare Bedrohung. Rechtsanwalt Felix Barth nennt drei wichtige Aspekte, die Online-Händler beim Thema Abmahnung beachten sollten: "Sie sollten sicherstellen, immer aktuelle Rechtstexte zu verwenden und ihren Shop alle zwei Jahre durch einen Rechtsexperten überprüfen lassen. Und falls man doch eine Abmahnung erhält, sollte man nie eigenständig eine Unterlassungserklärung unterschreiben, sondern immer einen spezialisierten Anwalt einschalten."

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Die wichtigsten aktuellen Rechtsthemen

Doch Online-Händler sind nicht nur damit gefordert, ihre Webshops rechtssicher zu gestalten, sie müssen sich auch darum kümmern, aktuelle sie betreffende Gesetzgebungsverfahren im Blick zu behalten und relevante Neuregelungen adäquat umzusetzen. "2023 ist dabei gesetzgeberisch zwar kein ganz heißes Thema dabei, doch gibt es eine Reihe von Änderungen, die Online-Händler entweder peripher betreffen, wenn sie über Plattformen verkaufen, oder die für spezielle Teilsortimente gelten", erklärt dazu Felix Barth von der IT-Recht-Kanzlei.

Zu den Neuregelungen, die nur Händler in bestimmten Sortimenten betreffen, gehören beispielsweise die zum 1. Januar 2023 eingeführten Änderungen beim Verpackungsgesetz. Dabei geht es darum, dass Lebensmittel zum unmittelbaren Verzehr, die sonst in Einwegkunststoffverpackungen und Einweggetränkebechern abgegeben werden, auch in Mehrwegverpackungen zum Verkauf angeboten werden müssen. Davon betroffen sein können zum Beispiel Lebensmittelversender und Essenlieferservices. Sie müssen ihre Kunden auch aktiv über die neue Mehrwegoption informieren.

Whistleblower-Richtlinie

Andere Gesetzesneuerungen betreffen vor allem größere Unternehmen. So müssen Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern bereits seit Anfang 2023 die sogenannte "Whistleblower-Richtlinie" der EU umsetzen, bei der es um die Einrichtung von Meldewegen geht, mit denen anonym unternehmensinterne Rechtsverstöße bekannt gemacht werden können. Ab Ende 2023 gilt das auch für Unternehmen mit bereits 50 Mitarbeitern. An noch deutlich größere Unternehmen richtet sich das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Wer mehr als 3.000 Mitarbeiter beschäftigt, muss seit Jahresanfang Verantwortlichkeiten einführen, um innerhalb der eigenen Lieferkette den Schutz von Menschenrechten und der Umwelt zu gewährleisten. 2024 wird das auch für Unternehmen ab einer Größe von 1.000 Mitarbeitern gelten.

Schließlich gibt es Gesetzesneuerungen, die vor allem Plattformbetreiber und Online-Marktplätze betreffen – und erst mittelbar die daran angeschlossenen Händler. Hierzu zählen das Verpackungsgesetz mit der bereits erwähnten Registrierungspflicht beim Verpackungsregister LUCID, das Elektro- und Elektronikgerätegesetz mit der Pflicht zur Meldung einer Herstellernummer für Elektronikgeräte ("WEEE-Nummer") sowie der "Digital Markets Act" der EU, der eine übergroße Marktmacht von einzelnen Plattformbetreibern verhindern soll. Mehr zu diesen Rechtsthemen für Plattformhändler gibt es in einem separaten Artikel.

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Felix Barth, Fachanwalt der Münchner IT-Recht-Kanzlei
"Die Abmahntätigkeit ist wieder ähnlich hoch wie vor 2020.“

Vorsicht vor erpresserischen Kunden und professionellen Betrügern

Das Thema Recht für Online-Händler beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Beachtung gesetzgeberischer Vorgänge und deren Umsetzung im Shop. Häufig ist es vor allem die Anwendung dieser gesetzlichen Bestimmungen im Tagesgeschäft, mit der sich Händler beschäftigen müssen - vor allem, wenn es zu diesbezüglichen Meinungsunterschieden mit Kunden kommt. "Zu den häufigen Problemen, die Händler mit Kunden haben, zählen Fragen wie: Wird der Widerruf fristgemäß geltend gemacht? Wie muss die zurückgesandte Ware aussehen? Und wie verhält es sich mit dem Widerrufsrecht bei gebrauchten Artikeln?“, erzählt Rechtsanwalt Felix Barth.

Alle diese Themen seien im Prinzip juristisch eindeutig definiert, doch gerate diese Klarheit schnell infrage, wenn Kunden ohne viel Skrupel die ihnen zur Verfügung stehende Macht ins Feld führten. "Das betrifft zum einen die Bewertungsmacht. Wenn Kunden mit schlechten Bewertungen drohen und sich dabei geschickt verhalten, ist dagegen juristisch oft nicht viel zu machen", berichtet der Rechtsexperte. "Das andere Thema sind die Käuferschutzbestimmungen der Online-Bezahlservices. Wenn ein Kunde hier eine Beschwerde – selbst eine faktisch ungerechtfertigte - einreicht, wird die betreffende Zahlung sofort blockiert und gerät der Händler in die Beweispflicht." Um langwierigen und kostspieligen Hickhack zu vermeiden, bleibe in solchen Fällen oft nicht viel mehr übrig, als dem Händler eine Rückerstattung zu empfehlen.

Fälle, in denen ein juristisches Vorgehen des Händlers dringend angezeigt ist, sind dagegen Betrugsversuche gegen Shopbetreiber. Wie Felix Barth berichtet, zählt darunter zum Beispiel das Hacking von Amazon-Verkäuferaccounts: "Die Betrüger kapern in solchen Fällen den Account, listen massenhaft nicht existente Ware und oft kommt das Ganze erst ans Licht, wenn sich negative Bewertungen häufen, weil die Kunden die gekauften Artikel nicht erhalten."

In solchen Fällen sieht sich der Marketplace-Verkäufer gleich mit einer ganzen Reihe von dringenden Herausforderungen konfrontiert. Er muss schnellstmöglich seinen Account wieder unter Kontrolle bringen, in den Kontakt mit den betrogenen Kunden treten und versuchen, finanzielle Ansprüche für den entstandenen Schaden geltend zu machen. Solche Betrugsfälle betreffen im Übrigen nicht nur Amazon-Händler. Auch ganze Online-Shops werden immer wieder gekapert oder als Fake-Shops für den Kunden täuschend echt gespiegelt. Auch in solchen Fällen ist schnelles Reagieren des Shopbetreibers angezeigt, um den Schaden kleinstmöglich zu begrenzen und um gegen die Betrüger vorzugehen.

Händler sollten kompetente Unterstützung nutzen

Trotz Anti-Abmahngesetz und der eher geringen Dichte an gesetzlichen Neuregelungen im Jahr 2023: Der Verkauf über das Internet bleibt für Shopbetreiber weiterhin gespickt mit rechtlichen Fallgruben. Wie können sich Online-Händler dagegen am wirkungsvollsten schützen? "Wir empfehlen Händlern hier ganz klar die Zusammenarbeit mit einem auf E-Commerce spezialisierten Rechtsdienstleister, von denen es in Deutschland heute eine Handvoll, aber auch nicht wesentlich mehr kompetente Anbieter gibt", erklärt Felix Barth.

Solche Rechtsdienstleister wie der Händlerbund, eRecht24, Trusted Shops und eine Reihe spezialisierter Kanzleien unterstützen Händler mit aktuellen Rechtstexten für ihre Shops, bieten eine rechtliche Überprüfung der Shop-Präsenzen an, informieren über aktuelle relevante Rechtsthemen und bieten im Ernstfall Rechtsberatung und anwaltliche Unterstützung - für Mitglieder oft zu Vorzugskonditionen - an.

Die Münchner IT-Recht-Kanzlei hat sich seit 2004 auf den E-Commerce-Bereich spezialisiert und bietet alle genannten Leistungen an. Mehr als 50 Shopsysteme hat der Rechtsdienstleister inzwischen per API angeschlossen, sodass aktuelle Rechtstexte automatisiert in die Shops der Kunden eingespielt werden. Derzeit führt die IT-Recht-Kanzlei gerade einen "Datenschutzscanner" ein, der den Quellcode von Onlineshops automatisiert auf rechtlich problematische Skripte von Analyse-, Payment- oder Marketing-Tools überprüft. Im nächsten Schritt ist auch ein "Abmahnscanner" geplant, berichtet Kanzleimitglied Felix Barth.

Matthias Hell

Matthias Hell ist Experte für E-Commerce-Themen. Der promovierte Politikwissenschaftler beleuchtet für uns seit mehr als zehn Jahren als freier Autor Handels- und Online-Themen, zunächst für Internet World, jetzt für W&V. Zudem ist Matthias für den täglichen W&V Newsletter Commerce Shots zuständig. Neben einigen Fachbüchern hat er zwei Bildbände zur modernen Architektur seiner Heimatstadt München veröffentlicht und widmet sich in seiner Freizeit seiner Leidenschaft für Musik und Literatur. 
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