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Digital Services Act: So will die EU den GAFAs Zügel anlegen
Mit dem Digital Services Act legt sich die EU-Kommission mit den Größten der Digitalbranche an: Amazon, Apple, Alibaba, Meta, Google und Co. sollen an die Kandare genommen werden und sich nicht länger dem europäischen Wettbewerbsrecht entziehen können. Aber auch kleinere Plattformen treffen die neuen Transparenz-Vorschriften. Das betrifft Online-Händler und Hersteller, die diese Plattformen für den Verkauf ihrer Produkte nutzen, zwar sekundär - hat aber deutliche Auswirkungen auf ihr Marktplatz-Business.
Es sollte der ganz große Wurf der EU werden: Nach jahrelangen zähen Verhandlungen trat am 16. November 2022 der Digital Services Act (DSA) in Kraft. Das Gesetz soll die veraltete E-Commerce-Richtlinie ersetzen und endlich die großen Online-Plattformen regulieren. Gleichzeitig soll es den Wettbewerb unter den Plattformen fördern und ihre Betreiber dazu bringen, nicht nur ihr eigenes Wirtschaftsinteresse zu verfolgen, sondern die Interessen und Werte der EU-Bürger in den Blick zu nehmen.
Ganz dicke Bretter also. Kein Wunder, dass die Umsetzung Zeit brauchte. Nach Inkrafttreten der Verordnung hatten die betroffenen Vermittlungsdienste, Hosting-Dienste und Online-Plattformen drei Monate Zeit, um ihre Nutzerzahlen transparent zu machen. Ende April 2023 benannte die EU dann auf Basis dieser Nutzerzahlen die ersten 19 "Very Large Online Platforms", für die laut dem Gesetz die schärfsten Regeln gelten.
Folgende Plattformen hat die EU-Kommission am 25. April 2023 als "Very Large Online Platforms" benannt:
- Alibaba AliExpress
- Amazon Store
- Apple AppStore
- Bing
- Booking.com
- Google Play
- Google Maps
- Google Shopping
- Snapchat
- TikTok
- Wikipedia
- YouTube
- Zalando
Der Plattform-Schreck: Margrethe Verstager
Margrethe Vestager, Exekutiv-Vizepräsidentin der EU-Kommission und seit Jahren der Plattform-Schreck der EU, hat das Gesetz maßgeblich mitgestaltet. So fasst sie es zusammen:
„Die unseren Regeln zugrunde liegende Logik soll sicherstellen, dass die Technologie den Menschen und den Gesellschaften, in denen wir leben, dient und nicht umgekehrt. Das Gesetz über digitale Dienste wird für eine angemessene Transparenz und Rechenschaftspflicht von Plattformen und Suchmaschinen sorgen und den Verbraucherinnen und Verbrauchern mehr Kontrolle über ihr Online-Leben geben. Die heutigen Benennungen sind ein gewaltiger Schritt auf diesem Weg.“
Der Digital Services Act auf einen Blick
- Um welches Gesetz geht es? Die EU-Verordnung "Gesetz über Digitale Dienste" (Digital Services Act, DSA)
- Seit/Ab wann ist es in Kraft? In eingeschränkter Form seit dem 16. November 2022. Am 17. Februar 2024 tritt es in vollem Umfang in Kraft.
- Was bezweckt das Gesetz? Große Plattformen müssen Inhalte sorgfältiger moderieren, zum Beispiel durch Bekämpfung illegaler Inhalte wie Hassrede oder gefälschter Produkte. Sie müssen über einen Mechanismus verfügen, über den Nutzer illegale Inhalte melden können, und müssen auf die Meldungen zügig reagieren. Minderjährige sollen stärker geschützt werden.
- Welche Unternehmen sind direkt betroffen? Suchmaschinen, Soziale Netzwerke und sehr große Online-Plattformen mit mehr als 45 Millionen Nutzern
- Was bedeutet es für den E-Commerce? Die Umsetzung der neuen Transparenzvorschriften aufseiten der Plattformen hat direkte Auswirkungen auf die Händler, die diese Plattformen nutzen. Marktplatz-Betreiber verlangen von ihren Händlern mehr ID-Informationen. Zudem müssen die Betreiber Informationen über die Funktionsweise ihrer Algorithmen offenlegen.
Plattform-Betreiber in der Pflicht
Tatsächlich verbirgt sich hinter dem komplizierten Gesetzes-Sprech der neuen Verordnung echter Sprengstoff fürs Marktplatz-Business. So führt der DSA neue Verpflichtungen für Plattformen ein, um ihre Verantwortung bei der Überwachung und Entfernung rechtswidriger Inhalte zu erhöhen. Plattformen müssen zudem transparente Regeln für die Moderation und Inhaltslöschung einführen und Mechanismen zur Meldung von Beschwerden bereitstellen. Außerdem sollen die Marktplatzbetreiber Daten über verkaufte Produkte und Dienstleistungen erheben und stichprobenartig Datenbanken auf illegale Produkte abfragen.
Die Löschung illegaler Inhalte soll nach Willen des Gesetzes in Zukunft sehr viel schneller vonstattengehen - auch hier sind die Plattform-Betreiber künftig rechtlich in der Pflicht. Der DSA beinhaltet auch Regelungen zur Transparenz und Offenlegung von Online-Werbung, um Verbraucherinnen und Verbrauchern klare Informationen über Werbeanzeigen und deren Finanzierung zu geben. Sehr große Plattformen, die nach Ansicht der EU als Gatekeeper in ihren Märkten fungieren, müssen zudem besondere Transparenzpflichten erfüllen, beispielsweise in Bezug auf ihre Ranking-Algorithmen und die Behandlung eigener Dienste im Vergleich zu Drittanbietern.
Was bedeutet das für Unternehmen, die auf Plattformen verkaufen?
Sobald die Plattformen anfangen, die neuen gesetzlichen Sorgfaltspflichten umzusetzen, hat das EU-Gesetz konkrete Auswirkungen auf Handelsunternehmen, die diese Marktplätze für den Verkauf ihrer Produkte nutzen. Das ist bereits seit Anfang des Jahres spürbar: Seitdem müssen Marktplätze ihre Verkäufer eindeutig identifizieren können. Deshalb müssen Verkäufer verpflichtend Ausweiskopien, Name oder Adressen vorlegen, bevor sie mit dem Verkauf auf einer Plattform beginnen können.
Mehr Transparenz über den Algorithmus
Ein weiterer entscheidender Punkt des DSA ist mehr Transparenz über die internen Entscheidungskriterien der Plattformen, also über deren Ranking-Faktoren und die Kriterien ihrer Recommendation Engines. Online-Händler sollen so mehr Informationen darüber erhalten, wie ihre Produkte oder Dienstleistungen auf Plattformen Dritter ranken und wie sie sich dort verkaufen.
Allerdings lässt das Gesetz offen, wie genau die Plattformen ihre Nutzer und Händler über ihren Algorithmus informieren sollen - mit der Folge, dass die Interpretationen des Gesetzes recht unterschiedlich ausfallen. So hat eBay beispielsweise einen sehr detaillierten Ranking-Plan vorgelegt; Zalando dagegen beschränkt sich auf ein paar sehr allgemein gehaltene Sätze in seinen FAQs. Viele andere Plattformen haben die Vorgabe noch gar nicht umgesetzt oder arbeiten erst daran.
Insgesamt sollen sehr große Plattformen, die selbst als Händler agieren und mit ihren Marktplatz-Partnern in direkte Konkurrenz treten (wie Amazon und Zalando), mit dem Gesetz daran gehindert werden, ihre eigenen Angebote gegenüber den Drittangeboten zu bevorzugen. Eine direkte Auswirkung ist auf Amazon seit Anfang Juni mit der Einführung der zweiten Buy Box zu beobachten.
Marktplätze in der Pflicht
Ein weiterer interessanter Punkt des Gesetzes, der in der Berichterstattung oft wenig beachtet wird, sind die "Speziellen Pflichten für Marktplätze", die zum Beispiel die Überprüfung der Berechtigungen von Drittanbietern beinhalten. Hier zielt die EU direkt auf Datenklau-Skandale ab, die durch mangelhaft verschlüsselte Schnittstellen von Drittanbietern entstehen. Dadurch können Betrüger massenhaft Daten von Nutzern verschiedener Plattformen abgreifen.
Auch der Austausch und die Widerspruchsmöglichkeiten von Dritthändlern gegenüber den von ihnen genutzten Plattformen soll sich mit dem DSA verbessern. Das Gesetz verpflichtet Marktplätze zur Einrichtung von Beschwerde- und Rechtsbehelfsmechanismen sowie zu außergerichtlichen Streitbeilegungen.
Es bleiben noch Fragen
Die EU hegt große Hoffnungen für den Digital Services Act. Der Wettbewerb zwischen den Plattformen soll gestärkt, die Chancen für kleinere und mittelständische Online-Unternehmen sollen verbessert werden. Nutzer sollen sich sicherer und sorgenfreier auf Plattformen bewegen können. Die Demokratie als Ganzes soll wehrhafter gegen die zersetzenden Aspekte der Plattformökonomie werden.
Viel Erwartungsdruck für einen Gesetzestext, der größtenteils von den (oft personell unterbesetzten) Behörden der Mitgliedsländer durchgesetzt werden soll. Zudem zeichnet sich bereits ab, dass viele Plattformen den Willen des Gesetzgebers nicht widerspruchslos umsetzen werden.
Zalando beispielsweise hat bereits Klage gegen seine Einstufung als "Very Large Platform" eingereicht; die EU habe die Bedeutung des Eigengeschäfts des Modehändlers überschätzt, ließ das Unternehmen verlauten.
Auch über die praktische Ausgestaltung der gesetzlichen Vorgaben lässt sich trefflich streiten: Ist beispielsweise Amazon-Händlern durch die per EU verordnete Einführung der zweiten Buy Box wirklich geholfen? Oder ist die Lösung letztlich ein fauler Kompromiss, der nur die Buchstaben des Gesetzes erfüllt, nicht aber dessen eigentliche Absicht? Die Experten werden noch eine ganze Weile viel Stoff zum Diskutieren haben.