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Analyse

Ausgabe: 05 / 23 Lesedauer: min

Analyse

Das sind die neuen D2C Playbooks

Die Zeiten, in denen man mit einer Ein-Produkt-Strategie und ein bisschen Social Media Marketing zur D2C Lovebrand mit Millionen-Umsätzen skalieren konnte, sind erst einmal vorbei. Die Erfolgskonzepte der Zukunft sind deutlich komplexer - und erfordern vor allem absolute Marketing-Exzellenz.

Das Jahr 2023 dürfte eine ähnliche Zäsur in der Entwicklung des deutschen D2C (Direct-to-Consumer)-Marktes bedeuten wie das Jahr 2020. Das hohe Lied der digitalen Endkundenbeziehung, das klassische Hersteller im Corona-Lockdown anstimmten, ist jäh verstummt: Die Kaufzurückhaltung der Kunden seit dem Angriffskrieg in der Ukraine, aber auch die Erkenntnis, dass das D2C-Geschäft nicht automatisch profitabler ist, nur weil man sich Handelsmargen spart, lässt weitere Investitionen in einen Digital- und vor allem Customer-First-Ansatz zumindest stocken, nicht selten aber auch komplett versiegen.

Sogar der brachiale deutsche D2C-Verfechter Adidas steigt auf die Bremse. Verfolgte der ehemalige Adidas-Chef Kasper Rorsted noch die Vision, den eigenen Onlineshop zum wichtigsten Absatzkanal auszubauen, lässt der neue Adidas-Lenker Bjørn Gulden verlauten: "Ich glaube daran, dass unsere Industrie Wholesale-getrieben ist." Im Klartext heißt das: Fertigmachen zur 180-Grad-Wende zurück in alte Vertriebsstrukturen.

Das Klima wird herausfordernder

Doch nicht nur die etablierten Hersteller tun sich schwer mit ihrem D2C Business. Auch für die Digital Native Brands wird das Klima herausfordernder. Für das erste Quartal 2023 konstatiert der E-Commerce-Verband Bevh für die sogenannten Herstellerversender gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein Umsatzminus von 9,4 Prozent. Damit schnitten die D2C-Brands zwar besser ab als der Rest der E-Commerce-Welt, der in Summe 15 Prozent an Umsatz verlor. Trotzdem zeigt die Wachstumskurve nach unten oder maximal seitwärts und nicht wie gewohnt nach oben. (s. Tabelle)

"Drei Jahre lang hatten wir einen Angebotsmarkt mit günstigen CACs und kaufwilligen Kunden", fasst Ralph Hübner, Mitgründer der D2C-Beratung D2C Advisors, die aktuelle Situation zusammen. "Jetzt sind wir in einem Nachfragemarkt mit weniger und qualitativ schlechterem Traffic. Dafür müssen einige Kapitel in den Playbooks der D2C-Brands umgeschrieben werden."

Doch wie sehen die neuen D2C-Playbooks aus?

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Umsatzentwicklung in Q1 mit Waren nach Versendern

Gesamtumsätze in Mio.Euro inkl. USt.Veränderung
Q1 / 2022Q1 / 2023
Multichannel-Versender7.2925.903-19,1 %
Online Pure Player11.41310.208-10,6 %
Herstellerversender652591-9,4 %
Teleshopping-Versender127109-13,9 %
Sonstige353912,2 %
Quelle: Bevh / Beyond Data; Stand 31. März 2023; Basis: n = 40.000 Privatpersonen in Dtl. ab 14 Jahren

Kapitel 1: D2C-Modelle werden komplexer

In der Vergangenheit hatten D2C-Modelle gegenüber den Corporates einen entscheidenden Vorteil: Sie waren einfach. Es reichten ein (!) gutes Produkt, eine überzeugende Gründerstory ("Wir lösen dein Problem", "Wir sind nachhaltig", "Wir bieten hohe Qualität zum fairen Preis"), ein Onlineshop, ein Gespür für datengetriebenes Social Media Marketing und die richtigen Influencer - und die Umsatzkurve schlug nach oben aus. Inzwischen fischen zu viele Haie im Goldfischbecken und selbst Snocks-Gründer Johannes Kliesch muss sich eingestehen: "Würden wir heute gründen und nicht vor fünf Jahren, hätten wir nicht diese Erfolgsgeschichte geschrieben."

Die D2C-Modelle von heute sind nicht mehr einfach, sondern komplex. Das fängt schon beim Produkt an: Neue Brands aus dem Kosmetikbereich beispielsweise sind nicht einfach nur umweltschonender, sondern mindestens KI-gestützt und personalisiert. Um die Retention zu steigern, erweitern D2C-Marken ihre Sortimente - und legen dadurch auch in der Vermarktung eine Schippe an Komplexität obendrauf. Und wenn der Onlineshop als Vertriebskanal ab einer bestimmten Umsatzgröße nicht mehr schnell genug skaliert, wird plötzlich auch der Retail eine Option - und bringt neue Themen wie Jahresgespräche, Anlieferungsbedingungen oder das Management von Produktrückrufen mit sich.

"Überall entsteht dann ein Mehr an Komplexität", konstatiert D2C-Berater Ralph Hübner. "Und diese Komplexität muss man durch Organisation, Teams und neue Prozesse managen." Insbesondere D2C-Brands im Scale-up-Bereich müssen also jetzt ähnliche Strukturen aufbauen, wie ihre mittelständischen Wettbewerber sie bereits haben. Und mitunter holen sie auch altgedientes Wissen aus der alten Welt in ihre C-Suites. Doch wer hier nur auf die Kompetenzen schaut und nicht auf den Menschen, kann sich hinterher auch noch mit dem "Clash of Cultures" auseinandersetzen.

Kapitel 2: Marke schlägt Performance

In den vergangenen Jahren bestand die größte Kunst im Performance Marketing für D2C Brands darin, die Höhe des Rabatts richtig zu justieren und den preislichen Sweetspot zu finden, zu dem man Neukunden gewinnt. Doch das klassische Erfolgsmodell, mit dem Handy in der Hand ein Video zu fabrizieren, Probleme anzusprechen, eine Lösung zu präsentieren und einen Call-to-Action auf ein Angebot zu integrieren, hat an Effizienz verloren. "In einem Nachfragemarkt sind eine einzigartige Brand und ein hoher Anteil an Bestandskunden essenziell", sagt D2C-Berater Hübner. Daher steht für die Brands in diesem Jahr knochenharte Marken- und CRM-Arbeit auf dem Programm.

Den Trend weg vom reinen Performance Marketing hin zum Brand Performance Marketing sieht auch Nico Frank, Gründer der digitalen Unternehmensberatung Ecoza. Gefragt seien Storytelling, Education oder Entertainment, um bei den Zielgruppen erst einmal Vertrauen aufzubauen, bevor es dann mit Performance Marketing in die Sales-Phase geht.

Wie das aussehen kann, zeigt die D2C-Nahrungsergänzungsmarke Bears with Benefits. Mit Online-Kursen, E-Books oder eine Online-Sprechstunde mit einer Ernährungsberaterin versucht diese, ihre Kunden zu allen möglichen Themen - von Body Positivity über Selfcare bis zur Menopause - bestmöglich mit Content zu versorgen und sie so immer wieder zum Kauf der Gummibärchen mit Zusatznutzen zu motivieren.

Das Invest in Marke und den Upper Funnel macht sich im D2C-Spiel entgegen der bisherigen Strategie also doch bezahlt: Eine glaubwürdige, differenzierte Marke erzeugt Resonanz und Resonanz erzeugt Wiederkäufe und Empfehlungen. Das spart Kundenakquisekosten im Lower Funnel.

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Weiterbildung

Kapitel 3: Der AOV wird zur Killer-KPI

Ein weiterer Faktor, der künftig erfolgreiche von weniger erfolgreichen D2C-Brands unterscheiden wird, ist das Verständnis für Angebotsgestaltung. "Ziel muss eine Fixkostendegression durch die Steigerung des durchschnittlichen Warenkorbwerts (AOV; Average Order Value) sein", erklärt Frank. Schließlich wisse man aus der Preispsychologie, dass Kunden, die mit hohen Warenkörben einsteigen, auch bei den weiteren Bestellungen die höchsten Warenkörbe auslösen.

Die Männerhautpflegemarke Skinbro hat bereits Maßnahmen ergriffen. Um den AOV zu steigern, hat Mitgründer Valentin Müller einen renommierten Coach eingekauft, der Männer lehrt, wie sie ihr Selbstbewusstsein steigern. Kunden können das Coaching entweder für 200 Euro buchen oder es ab einem Warenkorb von 100 Euro kostenlos erhalten. "Für den Kunden steigt der wahrgenommene Wert des Angebots und damit das Commitment zur Marke", erklärt Nico Frank die Strategie. "Und Skinbro kann sich dank des hohen Einstiegswarenkorbs in der Neukundenakquise doppelt so hohe Preise leisten wie andere Marken."

Kapitel 4: Ende der isolierten Marketingkanal-Betrachtung

Nach dem drastischen Anstieg der Werbekosten können es sich Marken nicht mehr leisten, ihre Marketing-Kanäle ausschließlich isoliert zu betrachten. "Smarte Brands bauen inzwischen Inhouse-Teams auf, die interdisziplinär alle Kanäle analysieren und verstehen", sagt Nico Frank.

Das heißt: Die Brands beschäftigen für jede Spezialdisziplin wie Google, Facebook oder Influencer Marketing die besten D2C-Boutique-Agenturen und teilen jeder Agentur ein fixes Monatsbudget zu. Das Inhouse-Team kontrolliert dann sämtliche Kernprozesse und schafft Transparenz zwischen allen Stakeholdern. Dafür das komplette Fullstack inhouse aufzubauen, ist komplex. Doch Anbieter wie Getklar, RetentionX oder Conjura stellen inzwischen Tools zur Verfügung, die es den Marken erleichtern, sich einen Überblick zu verschaffen und die eigenen Daten mit den Benchmarks im Markt zu vergleichen.

Kapitel 5: Der VC-Traum ist (mehrheitlich) ausgeträumt

Mit ihrer Vision, die eigene D2C-Brand auf Umsätze im mittleren dreistelligen Millionenbereich zu skalieren, haben nicht wenige Marken in der Vergangenheit erfolgreich Geld von Investoren eingeworben. Doch tatsächlich haben nur wenige Marken - ein Beispiel ist Emma - diese Ziele auch wirklich erreicht. Die überwiegende Mehrheit der Digital Native Brands bewegen sich eher im einstelligen Millionenbereich - zu wenig, um bei Risikokapitalgebern Speichelfluss auszulösen. "Ich würde heute interpretieren, dass die Mehrheit der D2C-Brands, selbst wenn sie erfolgreich sind, keine VC-Cases sind", resümierte jüngst der Investor Florian Heinemann von Project A im "Kassenzone"-Podcast.

Auch ein Exit an etablierte Hersteller, wie es Ankerkraut, Just Spices oder Invisible Brands vorgemacht haben, ist heute nicht mehr ohne Weiteres machbar.

Mögen die Unternehmensbewertungen auch nicht mehr beim 2,5- bis Dreifachen des Umsatzes liegen, sondern bestenfalls beim 0,5- bis 1,5-fachen - den meisten Corporates ist in der aktuellen Lage selbst eine Investition zum Schnäppchenpreis zu heikel. Im Gegenteil: Henkel hat seine D2C-Brands Hello Body, Banana Beauty und Mermaid + Me zwei Jahre nach dem 300 Millionen Euro teuren Kauf wieder abgestoßen.

Der Traum vom Glaspalast ist für einige D2C-Brands erst einmal ausgeträumt. Stattdessen wird ein Großteil in der eigenen Nische bleiben – und dies bis auf Weiteres aus Bordmitteln finanzieren. Doch Bootstrapping mag in einem Wachstumsmarkt okay sein. In einem Stagnationsmarkt mit wenig kauffreudigen Kunden, weiterhin hohen Marketingkosten und wackeliger Warenbeschaffung verwalten Gründer im besten Fall den Status Quo und Frust ist vorprogrammiert. Wer hier kein absoluter Idealist ist, neigt dazu, alles hinzuschmeißen. Deswegen werden wir 2023 wohl auch noch einiges an Konsolidierung im D2C-Markt sehen.

Insgesamt waren die vergangenen drei Jahre vielleicht auch erst der MVP-Versuch im D2C Game. Die ausgereiften Modelle sehen wir dann erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts.

Daniela Zimmer

hat ihre Leidenschaft für Einkaufen zum Beruf gemacht und schreibt bei INTERNET WORLD für das Ressort E-Commerce. Vor ihrem Wechsel zur INTERNET WORLD sammelte sie rund 17 Jahre E-Business-Erfahrung bei Fachzeitschriften wie iBusiness, Business 2.0 und W&V.
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