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Analyse

Ausgabe: 05 / 23 Lesedauer: min

Analyse

Warum tun sich Corporates mit D2C so schwer?

Noch bis vor etwa einem Jahr gehörte das Investment ins Trend-Thema D2C bei großen Handelskonzernen zum guten Ton. Nestlé, Henkel, Beiersdorf, Unilever, Kraft Foods und viele andere Corporates investierten in junge D2C-Marken oder starteten eigene D2C-Projekte. Doch die heiße Liebe ist längst abgekühlt - und schuld daran ist nicht nur die Wirtschaftskrise.

Das hatte sich Nestlé vermutlich anders vorgestellt: Nach der Übernahme des Gewürz-D2C-Startups Ankerkraut Anfang April 2022 schossen im Rahmen eines beispiellosen Shitstorms nicht nur die Hasskommentare nach oben, sondern auch die Umsätze nach unten: Eigentlich hatte der Konzern bei seiner Neuerwerbung für 2022 ein Umsatzwachstum von 25 Prozent eingeplant; stattdessen verzeichnete Ankerkraut ein Minus im "kleinen zweistelligen Prozentbereich".

Massenflucht aus dem D2C-Kosmos

Dass die Probleme von Ankerkraut weniger am Shitstorm der Empörungs-Bubble und mehr an der allgemeinen Weltlage liegen, lässt ein Blick auf andere Konsumgüter-Konzerne vermuten, die sich ebenfalls im Direct-To-Consumer-Business nach lukrativen Beteiligungen umgesehen hatten. Henkel hatte beispielsweise im Sommer 2020 für vermutlich 300 Millionen Euro die Mehrheit an dem D2C-Startup Invincible Brands übernommen, zu dem unter anderem die Beauty-Marken Banana Beauty, Mermaid + Me und Hellobody gehören. Im Dezember 2022 stieß Henkel diese nicht profitable Beteiligung wieder ab; die Marken hätten "die Erwartungen nicht erfüllen können", ließ der Konzern verlauten. Auch der hauseigene D2C-Shop Schwarzkopf.de, in dem Henkel hochpreisige Shampoos direkt an den Endkunden verkaufte, ist wieder offline.

Das gleiche Schicksal traf die Nivea-Online-Marke Own, die Ingwer-Shot-Brand Kloster Kitchen, an der sich Eckes-Granini beteiligt hatte und die Eigenmarke LOV 2000 des Kosmetik-Produzenten Cosnova. Alle wurden Ende letzten Jahres eingestellt.

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Im September 2022 verkaufte Henkel seine Beteiligungen an den Kosmetik-D2C-Brands Banana Beauty, Mermaid + Me und Hellobody - nur anderthalb Jahre nach dem Kauf und dem Vernehmen nach deutlich unter dem damaligen Einkaufspreis.

Wirtschaftskrise und Kulturkampf

Die Konzernbemühungen im D2C-Bereich haben grundsätzlich mit den gleichen Rahmenbedingungen zu kämpfen wie die klassischen D2C-Brands und der gesamte E-Commerce: Wirtschaftskrise, Kaufzurückhaltung, gestörte Lieferketten und steigende Rohstoffkosten treffen die jungen Brands besonders. In der Krise greifen die Konsumenten eher zu bekannten Marken oder zu günstigen Handelsmarken; an Premiumprodukten, zu denen die D2C-Brands meistens zählen, wird eher gespart. Zudem sind die Marketing-Kosten vor allem in den Kanälen, die D2Cs für sich nutzen - Instagram, Facebook, TikTok und Co. - deutlich nach oben geschossen, so dass es immer teurer wird, die ohnehin schon zurückhaltenden Kunden für sich zu gewinnen.

Das erklärt zwar die Schwierigkeiten und nicht erfüllten Umsatzprogosen der übernommenen D2C-Brands - nicht aber das schon fast panikartige Zurückrudern vieler Konzerne, die sich direkt nach der Honeymoon-Phase sofort von ihren einst heiß geliebten D2C-Bräuten scheiden lassen.

Denn viele Gründer verbanden mit dem Einstieg eines großen Konzerns auch die Hoffnung auf Skaleneffekte beim Einkauf oder in der Produktion und vor allem auf einen längeren finanziellen Atem, der durch die aktuelle Durststrecke hindurch reicht. Doch tatsächlich scheinen viele Konzerne weniger Geduld mit ihren D2C-Beteiligungen zu haben als mit anderen Unternehmensbereichen. Was sich in der Krise nicht bewährt, fliegt schnell wieder raus.

Das liegt auch daran, dass sich das kleinteilige D2C-Geschäft für große Konzerne wegen ihrer aufwändigen Kostenstrukturen unterm Strich kaum rechnet; für sie ist ein Warenkorb unter 40 Euro kaum wirtschaftlich zu versenden. Auch bei der internen Organisation des D2C-Projekts innerhalb des großen Konzerns tauchen immer wieder Probleme auf. "Viele Brands sind mit ihrem bisherigen D2C-Ansatz (und mit dem Ergebnis) einfach nicht mehr zufrieden und hinterfragen jetzt die eigene D2C-Organisation und ihre Daten- und Technologie-Infrastruktur", sagt Ralf Hübner, Co-Founder der Beratungsagentur D2C Advisors. "Oft steht und fällt der Erfolg auch mit dem passenden Personal."

Just Spices wurde Ende 2021 von Kraft Foods übernommen. Kaum ein Jahr später verließ Co-Gründer Florian Falk das Unternehmen – obwohl es bei der Übernahme noch geheißen hatte, die Gründer würden geschlossen an Bord bleiben und die D2C-Brand als eigenständige Einheit unter dem Dach von Kraft weiterführen.

Genau diese begehrten Kenner fühlen sich aber oft in großen Konzernstrukturen nicht wohl; plötzliche Ausstiege des Gründerteams kurz nach der Übernahme durch ein Corporate-Dickschiff - wie etwa der unerwartete Abgang von Just Spices-Gründer Florian Falk ein knappes Jahr nach dem Einstieg von Kraft Foods - sind keine Seltenheit. "Arbeitet man in einem D2C-Start-up, dann gibt es keine Trennung zwischen Sales und Marketing", so Hübner. "Es werden nativ einfach alle relevanten Mechanismen, Taktiken und Softwaretools in den verschiedenen Kanälen durchexerziert, um herauszufinden, was funktioniert und was nicht." Doch genau diese Abläufe sind in großen Konzernen meistens ganz anders gestrickt.

Ralf Hübner, Co-Founder D2C Advisors
"Die dominierenden Hemmschuhe im D2C-Business von etablierten Unternehmen sind noch immer die fehlende Geschwindigkeit und Datenkompetenz."

Die D2C-Ernüchterung der Corporates entzieht den Brands wichtige Skalierungs-Partner

Das reihenweise Scheitern der Corporate-Beteiligungen ist ein Problem für die D2C-Szene; denn viele junge Brands sind ab einem gewissen Punkt ihrer Entwicklung darauf angewiesen, dass größere Partner mit ihren Strukturen das Unternehmen weitertreiben, beispielsweise durch eine Internationalisierung oder die Erschließung neuer Verkaufskanäle, etwa der stationären Fläche.

Nestlé ist einer der wenigen Konzerne, der trotz der Probleme im letzten Jahr das Interesse am D2C-Trend noch nicht verloren haben. Anfang 2023 beteiligte sich der Konzern am Flüssignahrungs-Anbieter Yfood. Und auch an Ankerkraut will Nestlé fürs Erste festhalten. Aber auch hier tickt die Uhr: Laut Konzern-interner Ansage müssen Zukäufe in fünf bis sieben Jahren einen Mehrwert für Aktionäre schaffen. Deshalb soll Ankerkraut seinen Umsatz unter dem Dach von Nestlé in den nächsten vier Jahren mehr als verdoppeln.

Ingrid Lommer

ist die Plattform-Expertin der Internet World-Redaktion. Sie behält Online-Marktplätze in Deutschland, Europa und der Welt im Blick, verfolgt die aktuellsten Änderungen auf dem Amazon-Marktplatz und späht mögliche Verfolger aus - weshalb sie auch Marktplatz-Anwandlungen von TikTok, Shopify oder Meta hochspannend findet. Ihre Expertise vertieft sie alle zwei Wochen beim Talk mit Valerie Dichtl im Podcast-Format "Let's talk Marketplace". Natürlich ist sie deshalb auch Ansprechpartner Nummer 1, wenn es um die Ausgestaltung von Plattform-Themen auf den Events ihres Verlags geht. Dabei liegt ihr besonders der Austausch und das Networking innerhalb der Community der "Marktplatz-Menschen" am Herzen.
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