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Interview

Ausgabe: 10/23 Lesedauer: min

bevh befürchtet höhere Kosten und Risiken für Händler durch die neue EU-Verbraucherkredit-Richtlinie

Der Onlinekauf auf Kredit wird künftig strenger geregelt: Das Parlament der Europäischen Union hat am 12. September 2023 der Neufassung der EU-Verbraucherkredit-Richtlinie zugestimmt. Als Verbraucherkredite gelten dabei Darlehen für den Kauf von Konsumgütern und Dienstleistungen. Sie werden häufig für die Bezahlung von Fahrzeugen, Haushaltswaren und -geräten sowie für Reisen verwendet.

Der Handelsverband bevh befürchtet, dass die Verabschiedung der neuen EU-Verbraucherkredit-Richtlinie "das schleichende Ende des Kaufs auf Rechnung besiegelt". Diese Zahlart ist bei deutschen Verbrauchern jedoch sehr beliebt. Zahlreiche Studien belegen, dass Internet-Shopper sehr gerne per Rechnung bezahlen.

Internet World hat bei Birgit Janik, Leiterin Steuern, Finanzen & Controlling beim Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) nachgefragt, was hinter der Befürchtung steckt und welche Änderungen auf Händler zukommen.

Birgit Janik
Leiterin Steuern, Finanzen & Controlling / bevh
Birgit Janik, Leiterin Steuern, Finanzen & Controlling beim bevh

Verbraucherinnen und Verbraucher in der EU sollen künftig bei der Aufnahme von Krediten - auch bei Online-Käufen - besser geschützt werden. Konkret: Die EU-Verbraucherkredit-Richtlinie soll Menschen vor übermäßigen Kreditkartenschulden oder ungeeigneten Krediten schützen. Das ist doch erstmal ein verbraucherfreundliches Anliegen, oder nicht?

Mit Verbraucherfreundlichkeit hat das wenig zu tun. Mit Blick auf die Richtlinie werden Zahlarten, die im Interesse und der Wahlfreiheit der Verbraucher stehen, diskriminiert. Während es bei der Zahlung mit Kreditkarte bis zu 40 Tage zum Ausgleich der Forderung aus der Kreditkartenbelastung kommt, ist hier keine Bonitätsprüfung vorzunehmen, beim Kauf auf Rechnung schon.

Der Kauf auf Rechnung wird also - obwohl die Rahmenbedingungen dieselben sind - anders behandelt und Unternehmen müssen Käufer künftig einer vollständigen Bonitätsprüfung unterziehen, und zwar bei jedem Einkaufswert.

Warum befürchtet der bevh, dass die EU-Verbraucherkredit-Richtlinie das schleichende Ende des Kaufs auf Rechnung einläutet?

Der Kauf auf Rechnung wurde durch die Richtlinie in deutliche Schranken verwiesen, die es insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU, Anm. der Redaktion) nahezu unmöglich machen, den Kauf auf Rechnung weiterhin anzubieten – dies gilt insbesondere auch für ihr Marktplatzgeschäft.

Zwar gelten für KMU Ausnahmeregelungen und längere Zahlungsziele. In der Praxis können sie diese aber nicht nutzen. Um liquide zu bleiben, greifen KMU häufig auf die Option zurück, Forderungen aus dem Kauf auf Rechnung an Dritte abzutreten. In Zukunft kann diese Abtretung an Dritte aber nicht mehr erfolgen, ohne dass jedes Mal eine Bonitätsprüfung durchgeführt werden muss. Diese ist mit erheblichen Kosten und - gerade im grenzüberschreitenden Verkauf - mit Unsicherheiten verbunden.

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Warum gehen Sie davon aus, dass viele Händler den Kauf auf Rechnung nur noch eingeschränkt oder nicht mehr anbieten werden?

Jemand muss die Kosten für die Bonitätsprüfungen tragen. Dies wird der Händler sein, denn es sind Kosten, die er nicht auf Kunden umlegen kann. Zudem stand es bisher frei, eine Bonitätsprüfung bis zu einem Wert von 200 Euro durchzuführen. Dies fällt nun weg. Selbst Kleinstbeträge sind beim Kauf auf Rechnung einer Bonitätsprüfung zu unterziehen. Ob es jeder Kunde so positiv findet, jedes Mal eine Offenlegung seiner Daten zu veranlassen? Sie könnten sich aufgrund dessen auch gegen den Kauf auf Rechnung entscheiden, sollte er denn noch angeboten werden.

Es geht also um zusätzliche Kosten und Risiken für kleine und mittelständische Händler durch die EU-Verbraucherkredit-Richtlinie?

Wenn das Zahlungsausfallrisiko bei den Händlern verbleibt, liegen sie beim Kauf auf Rechnung nach strenger Auslegung außerhalb des Anwendungsbereiches der Richtlinie. Mit Blick auf die Liquiditätssteuerung und zur Schließung der Liquiditätslücke bleibt dem Händler als einzige Lösung stilles Factoring. Selbst bei stillem Factoring, bei dem die Forderung nicht abgetreten wird, verbleibt das Ausfallrisiko beim Händler. Was sich für die Liquiditätssteuerung als positiv erweist, ist mit hohen Kosten im Bereich des Debitorenmanagements und der Buchhaltung verbunden.

Eine Forderungsabtretung brächte sie hingegen in den Anwendungsbereich der Richtlinie und in die Bonitätsprüfung bei jedem Kauf auf Rechnung. "Out of Scope", das heißt, wenn die Richtlinie nicht zum Tragen kommt, bedeutet Mehrkosten für das Debitorenmanagement und die Buchhaltung. "Im Scope", wenn eine Transaktion unter die Richtlinie fällt, bedeutet Mehrkosten durch die Bonitätsprüfung.

Ist denn die neue EU-Verbraucherkredit-Richtlinie jetzt schon Gesetz oder wann tritt sie in Kraft?

Die Richtlinie tritt 20 Tage nach Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. Ab diesem Datum haben die nationalen Gesetzgeber bis zu zwei Jahre Zeit, die jeweiligen Umsetzungsgesetze zu erlassen und zu veröffentlichen. Drei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie wird sie angewendet. Bis dahin müssen die Händler die Änderungen spätestens umgesetzt haben.

Haben die EU-Staaten bei der Umsetzung eigenen Gestaltungsspielraum?

Es handelt sich zwar um eine Richtlinie und nicht um eine Verordnung. Dennoch ist der Gestaltungsspielraum der nationalen Gesetzgeber eingeschränkt, da sie an die Vorgaben zu Zeiträumen oder Größen der Unternehmen gebunden sind. Wir sehen hier lediglich in der Auslegung einzelner Begriffe, etwa der konkreten Definition des "Dritten", eine Möglichkeit, deutschen Händlern entgegenzukommen und eine Entschärfung zu erlangen. Es steht den nationalen Gesetzgebern zudem frei, bestimmte Bestimmungen in Bezug auf Werbung, vorvertragliche und vertragliche Informationen nicht auf Kleinkredite unter 200 Euro anzuwenden.

Was würde das für den Kauf auf Rechnung bedeuten?

Der Kauf auf Rechnung fällt für KMU und große Unternehmen unter unterschiedlichen Kriterien in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Die einzige Ausnahme, den Kauf auf Rechnung keiner Bonitätsprüfung zu unterziehen, besteht für KMU faktisch darin, keinen Dritten mit dem Forderungseinzug zu beauftragen und das Zahlungsziel auf maximal 50 Tage zu setzen. Sprich, das Zahlungsausfallrisiko verbleibt beim Händler.

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Ingrid Schutzmann

verantwortet bei INTERNET WORLD das Ressort Tools und Services. Die Spezialistin für Shop-Software und Lösungen rund um den digitalen Einkauf hat die Evolution des Online-Handels von Anfang an journalistisch begleitet.
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